Beiss mich - Roman
es sofort als Antrag auf und legte hoffnungsvoll die Hand auf mein Knie.
»Raus«, sagte ich liebevoll.
Er stieg aus, hielt aber die Tür noch einen Moment fest. »Pass auf dich auf. Ruf an.«
Ich versprach ihm beides und fuhr davon.
*
Die Nacht war noch jung, und ich hatte Sehnsucht nach menschlicher Gesellschaft. Ich wollte Leben und Betriebsamkeit um mich herum, ich wollte in den Geruch einer wogenden Menge eintauchen und mich darin treiben lassen wie in einem warmen Meer.
Nach Lage der Dinge hatte ich einige Auswahl. Eine Diskothek. Ein Kino. Eine Bar vielleicht.
Doch mir war auch nach Helligkeit zumute, und sei es nur das künstliche Licht von Neon. Ich wollte weite, sich scheinbar ins Unendliche erstreckende Räume, die das Gefühl von Freiheit und Aufbruch vermittelten.
Was lag näher, als zum Flughafen zu fahren?
Ich stellte den Wagen im Parkhaus ab und ging in die Abflughalle, wo aber wegen der fortgeschrittenen Stunde nicht viel los war. Es war fast zwölf, nicht gerade die Zeit, ins Flugzeug zu steigen.
Vor den Ankunftsterminals war mehr Betrieb. Dort fand ich, wonach ich suchte. Ein Strom von Menschen ergoss sich gerade aus einem der Tore. Müde und braun gebrannt kamen sie hinter der Trennwand hervor und reckten die Köpfe in Richtung der Menge, die bei der Absperrung auf die Ankunft der Reisenden wartete. Ich begab mich mitten ins Gedränge und ließ mich herumschubsen, getragen von einer Woge unterschiedlichster Gerüche und Geräusche. Parfüm, Schweiß, Kaffee, Schokolade, Bier, Ketchup, Vanille, Benzin, Sex, Piña Colada, Gummi, Zahnpasta, Menstruation, Bananen, der wunderbar süße Duft eines Babys, der stechende Geruch eines eitrigen Hautgeschwürs.
Laute Rufe, entzücktes Lachen, Schimpfen, asthmatisches Keuchen, hier und da eine gestörte Verdauung, das feuchte Saugen eines innigen Kusses – und über allem das wogende, rhythmische Brausen all der pumpenden Herzen, ein kollektiver Ton, wie das Zusammenspiel alles Lebendigen schlechthin.
Die Vielfalt an Eindrücken um mich herum war ebenso erstaunlich wie berauschend. Ich atmete tief ein und konnte nicht genug davon bekommen.
Irgendwann zerstreute sich die Menge, die Leute packten ihre Koffer auf Kulis, setzten ihre kleinen Kinder in die mitgebrachten Buggys und bewegten sich zu den Ausgängen.
Ich schlenderte durch die Geschäfte, mein erster Bummel seit längerer Zeit. Normalerweise hielt mein Enthusiasmus sich in Grenzen, wenn ich zu meinen gelegentlichen Ausflügen in die Kaufhäuser und Boutiquen aufbrach. Anders als beispielsweise Solveig, der das stundenlange Schauen und Probieren ein geradezu orgiastisches Vergnügen bereitete, konnte ich kaum genug Interesse aufbringen, um mehr als einen Laden zu betreten.
In dieser Nacht, mit dem beruhigenden Knistern vieler großer Scheine in der Tasche, gönnte ich mir dagegen ausgedehnte Blicke auf teure Auslagen. Mir fielen sofort einige Gegenstände ins Auge, die ich meinen Eltern schenken konnte, bevor sie nach Mallorca auswanderten. Mama würde garantiert in einen Taumel des Entzückens verfallen, wenn ich ihr dieses komische Spinnrad schenken würde, das da im Schaufenster einer noblen Boutique zu sehen war. Ich ging in den Laden und fragte, was das Ding kostete. Die Verkäuferin belehrte mich, dass es sich um eine unverkäufliche Dekoration handle, doch als ich ihr einen Hunderter zeigte, waren wir sofort handelseinig. Für Papa fand ich einen herrlich flauschigen, knöchellangen Bademantel von Cardin, gegen den das Spinnrad sich geradezu als Billigschnäppchen ausnahm, weshalb ich genötigt war, für Mama noch ein Seidentuch von Donna Karan zu erstehen. Es war so groß wie ein mittleres Bettlaken und kostete so viel wie ein Überseeflug. An der Kasse zögerte ich kurz, doch der Kaufrausch hatte mich bereits erfasst, und ich blätterte bedenkenlos die nötige Anzahl von Scheinen hin.
Für Lucas erwarb ich zwei Nobelkrawatten und einen Kaschmirpullunder, für die großbusige Claudia parfümierte Bodylotion, für meine Großeltern eine Riesentube Venensalbe und ein erstklassiges Blutdruckmessgerät, das ich im Schaufenster der Flughafenapotheke entdeckt hatte.
Ich haderte mit mir, ob ich auch für Solveig ein Geschenk kaufen sollte. In einer ersten Aufwallung von Zorn entschied ich mich dagegen, doch dann dachte ich an all die vielen Dinge, mit denen sie mich im Laufe unserer gemeinsamen Jahre bedacht hatte, und das Herz wurde mir schwer. Sie war und blieb der Mensch, der mir am
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