Beiß mich, wenn du dich traust
nicht vorher verführt hätte, hätte er es mich niemals tun lassen. Deshalb haben Vampire ja überhaupt ihre verzaubernden Pheromone.
Alles ganz normal und natürlich und nichts, was mir ein schlechtes Gewissen machen sollte. Wenn ich nicht gesaugt hätte, wäre ich schlicht und ergreifend gestorben. Und Jareth wäre es garan-tiert lieber, dass ich irgendeinen Jungen küsse, als dass ich sterbe.
Es war halt ein Selbsterhaltungskuss, sonst nichts.
Ich streiche mir mit dem Finger über die Lippen, die von Corbins Küssen noch ganz geschwollen sind.
Ein wirklich guter Selbsterhaltungskuss . . .
Ich versuche, mich zusammenzureißen. Es ist vorbei. Vorbei und erledigt. Weiter geht's. Und Jareth braucht es nie zu erfahren. Es würde ihn nur sinnlos verletzen, stimmt's?
Wenn er doch nur hier wäre ...
Ich schließe die Augen und stelle mir meinen schönen Vampirfreund vor. Dann, sobald ich sein Bild fest im Kopf habe, sende ich einen Hilferuf aus. Manchmal kann ich ihn durch Telepathie erreichen - eine meiner wenigen Vampirfähig-keiten. Wie damals in England, als ich mit einem wütenden Werwolf in einer Höhle gefangen war.
Jareth hörte meinen Ruf und rettete mich.
Jetzt müsste ich auch gerade mal wieder so was von gerettet werden.
Das Problem ist nur, dass ich die Reichweite der Gedankenübertragung nicht kenne. Jareth befin-det sich wahrscheinlich am anderen Ende der Welt. Kann er mich trotzdem hören, wenn ich rufe? Leider kann ich das nicht überprüfen, weil das Senden nur in eine Richtung funktioniert.
Nachdem ich es einige Male versucht habe, gebe ich auf und ziehe Jogginghose und T-Shirt an. Der Unterricht in der Killerschule wird nicht einfach wegen eines Elfenangriffs unterbrochen. Heute Morgen haben wir Kampftraining, gefolgt von Nachmittagsstunden in Geschichte von Slayer Inc. und Theorie des Vampirtötens. Ich frage mich, ob Corbin zum Training kommen wird. Ich frage mich, wie ich ihm gegenübertreten soll.
Es ist wieder ein kalter Tag. Alle Schüler drängen sich aneinander und pusten in ihre Hände, um sich zu wärmen. Bis auf die Alphas natürlich, die ein kleines Stück weiter unten ihren eigenen Heizlüfter bilden. Als ich näher komme, entdeckt mich Mara und winkt mich heran. Dankbar gehe ich auf die Gruppe zu und spüre die neidischen Blicke der anderen Schüler in meinem Rücken.
So ist es also, ein Schulstar zu sein. Ziemlich komisch.
»Hey, Rayne!«, begrüßt Leanna mich und zieht mich mit einer in einem Fausthandschuh stecken-den Hand in ihren Kreis. Die anderen lächeln mich matt an, wirken immer noch gestresst und fertig von den Ereignissen der vergangenen Nacht. Alle haben Schnittwunden und Prellungen im Gesicht und wahrscheinlich auch an anderen Stellen unter ihren langen roten Roben. »Wie geht es dir?«
»Großartig!«, platze ich heraus. »Ich bin nur ein bisschen hungrig!«
Halt, was redest du da? Ich schlage die Hand vor den Mund und die anderen sehen mich perplex an. Das hatte ich gar nicht sagen wollen. Ich wollte verwundet, niedergeschlagen, verängstigt tun. Warum sollte ich topfit sein? Ganz zu schweigen von . .. hungrig?
»Äh, und ich habe natürlich Angst«, füge ich schnell hinzu, weil ich plötzlich tatsächlich große Angst habe. Angst vor dem, was diese Schüler tun würden, wenn sie die Wahrheit über mich wüssten und über das, was ich ihrem Freund an-getan habe. »Wie geht es Corbin?«
»Er liegt immer noch auf der Krankenstation«, antwortet Mara betrübt. »Sie sagen, er hätte durch den Elfenbiss literweise Blut verloren.« Sie schaudert. »Echt schrecklich. Ich will es mir nicht mal vorstellen!«
Okay, sie haben also die Geschichte mit dem Elfenbiss geschluckt. Gut so.
»Ja, dieser Elf hat ihn wirklich ...«, beginne ich, doch dann stocke ich, die Worte bleiben mir in der Kehle stecken. Ich wollte sagen, dieser Elf hat ihm wirklich übel mitgespielt. Aber irgendwie bringe ich die Lüge nicht über die Lippen.
»Dieser Elf...«, versuche ich es noch einmal und plötzlich strömt Eid durch meine Adern. Oh Gott, was ist denn los mit mir?!
». . . hat ihn echt plattgemacht«, beendet Peter hilfsbereit meinen Satz. »Verdammt richtig.«
»Hast du gesehen, wie es passiert ist?«, fragt Varuka.
Ich schlucke. »J-Ja«, bringe ich heraus, dann halte ich die Klappe und verbiete mir weiterzu-reden. Denn was ich sagen möchte, ist aus irgend-einem verrückten, unerfindlichen Grund: Ich habe es nicht nur gesehen, ich war es selbst.
Was zum Teufel stimmt
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