Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
habe allein, oder auch nur vorwiegend, dem Umstand gegolten, daß ich nun so sehr vornehm war. Nein, die Veränderung und Erneuerung meines abgetragenen Ich überhaupt, daß ich den alten Adam hatte ausziehen und in einen anderen hatte schlüpfen können, dies eigentlich war es, was mich erfüllte und beglückte. Nur fiel mir auf, daß mit dem Existenzwechsel nicht allein köstliche Erfrischung, sondern auch eine gewisse Ausgeblasenheit meines Inneren verbunden war, – insofern nämlich, als ich alle Erinnerungen, welche meinem ungültig gewordenen Dasein angehörten, aus meiner Seele zu verbannen hatte. Wie ich hier saß, hatte ich auf sie kein Anrecht mehr, – was gewiß kein Verlust war. Meine Erinnerungen! Es war ganz und gar kein Verlust, daß sie nicht mehr die meinen zu sein hatten. Nur war es nicht ganz leicht, andere, die mir jetzt zukamen, mit einiger Genauigkeit an ihre Stelle zu setzen. Ein eigentümliches Gefühl von Gedächtnisschwäche, ja Gedächtnisleere wollte mich ankommen in meinem luxuriösen Winkel. Ich bemerkte, daß ich nichts von mir wußte, als daß ich meine Kindheit und erste Jugend auf einem Edelsitz im Luxemburgischen verbracht hatte, und höchstens ein paar Namen, wie Radicule und Minime, verliehen meiner neuen Vergangenheit einige Präzision. Ja, wollte ich mir auch nur das Ansehen des Schlosses, in dessen Mauern ich aufgewachsen war, genauer vor Augen führen, so war ich genötigt, die Abbildungen englischer Castles auf dem Porzellan zu Hilfe zu nehmen, von dem ich einst, in niedriger Daseinsform, die Speisereste abzustreifen gehabt hatte, – was einem ganz unzulässigen Hineintragen abgelegter Erinnerungen in die mir nun allein zustehenden gleichkam.
Solche Erwägungen oder Betrachtungen gingen dem Träumer durch den Sinn beim rhythmischen Stampfen und Eilen des Zuges, und keineswegs sage ich, daß sie mir Kummer bereiteten. Im Gegenteil: jene innere Leere, die verschwommene Ungefährheit meiner Erinnerung vereinigten sich, wie mir schien, auf eine gewisse melancholisch schickliche Weise mit meiner Vornehmheit, und gern erlaubte ich ihnen, dem Blick, mit dem ich vor mich hinsah, einen Ausdruck still verträumter, sanft schwermütiger und nobler Unwissenheit zu verleihen.
Der Zug hatte Paris um sechs Uhr verlassen. Die Dämmerung sank, das Licht ging an, und noch schmucker erschien darin meine Privat-Behausung. Der Schaffner, schon höher an Jahren, erbat sich die Erlaubnis zum Eintreten durch sachtes Klopfen, legte salutierend die Hand an die Mütze und wiederholte die Ehrenbezeigung, als er mir meine Fahrkarte zurückgab. Dem biederen Manne, dem eine loyale und bewahrende Gesinnung vom Gesichte zu lesen war und der auf seinem Gang durch den Zug mit allen Schichten der Gesellschaft, auch mit ihren fragwürdigen Elementen, in dienstliche Berührung kam, tat es sichtlich wohl, in mir ihre wohlgeraten-vornehme, das Gemüt durch bloße Anschauung reinigende Blüte zu grüßen. Wahrhaftig brauchte er sich keine Sorge um mein Fortkommen zu machen, wenn ich nicht mehr sein Passagier sein würde. Für mein Teil ersetzte ich die menschliche Erkundigung nach seinem Familienleben durch ein huldvolles Lächeln und Nicken von Hoch zu Nieder, das ihn gewiß in seiner anhaltenden Sinnesart bis zur Kampfbereitschaft bestärkte.
Auch der Mann, welcher Platzkarten für das Diner im Speisewagen anzubieten hatte, meldete sich durch behutsames Klopfen. Ich nahm ihm eine Nummer ab; und da wenig später draußen ein Gong zur Mahlzeit rief, zog ich zwecks einiger Erfrischung meine wohl eingerichtete Handtasche für den Nacht- und Toilettenbedarf zu Rate, verbesserte vor dem Spiegel den Sitz meiner Krawatte und begab mich ein paar Wagen weiter zum Wagon-Restaurant, dessen korrekter Vorsteher mich unter einladendem Gestenspiel zu meinem Platz geleitete und mir den Stuhl unterschob.
An dem Tischchen saß bereits, mit den Hors-d’ceuvres beschäftigt, ein älterer Herr, zierlich von Figur, etwas altmodisch gekleidet (mir schwebt ein vatermörderähnlicher Kragen vor, den er trug) und mit grauem Bärtchen, der, als ich ihm artig den Abendgruß bot, mit Sternenaugen zu mir aufblickte. Ich bin außerstande, zu sagen, worauf eigentlich das Sternenartige seines Blickes beruhte. Waren seine Augensterne besonders hell, milde, strahlend? Gewiß, das waren sie wohl, – aber waren es darum schon Sternenaugen? »Augenstern« ist ja ein geläufiges Wort, aber da es nur etwas Physisches
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