Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
fuhr eine Kurve. Wir fuhren schnell. Der andere hielt sich die Mütze vors Gesicht.
»Willkommen in Newark, du Terroristenschwein«, sagte der mit dem Handy durch seinen Schleier. »Das ist dein letzter Moment in Freiheit. Sag Cheese.«
»Guck nicht mich an! Guck in die Kamera!«, forderte der andere. Ich tat weder das eine noch das andere. Ich starrte den anderen an, der das Handy hielt und mich als Terroristenschwein bezeichnet hatte. Ich hatte keine Ahnung, wovon er redete.
Er drückte den Auslöser.
Irgendwoher wusste ich, dass es meine letzte Gelegenheit war, frei zu sprechen. »Wohin fliegen wir?«, fragte ich.
» Wir? Wir fliegen nirgendwohin.«
»Wohin fliege ich?«, korrigierte ich.
An seinen Augen sah ich, dass er grinste. Er fing an zu singen: » Somewhere over the rainbow …«
Davon musste der andere lachen. Der Feigling versteckte sich immer noch hinter der Mütze.
»Wohin?«
Der mit dem Handy sah kurz seinen Kollegen an und wandte sich dann wieder mir zu.
»Ins Niemandsland«, sagte er.
...
AUF EHRE VERPFLICHTET
...
Heute kam der Colonel mich besuchen. Er war viel kleiner, als ich ihn mir vorgestellt hatte.
Was verschaffte mir diese Ehre?
Er informierte mich, dass ich morgen in ein anderes Lager verlegt werde, wo mir die bisherige Zusatzausstattung nicht mehr genehmigt würde. Es klang alles sehr offiziell, als würde es wirklich passieren. (Mit »Zusatzausstattung« meinte er wohl Stift und Papier.)
Hier im Niemandsland gibt es einen bestimmten Gruß zwischen ranghöheren Soldaten und ihren Untergebenen. Ein Ruf und eine Antwort. »Auf Ehre verpflichtet!« , ruft der Ranghöhere und bekommt als Antwort des Untergebenen: »Die Freiheit zu verteidigen!« Darüber habe ich bisher nicht weiter nachgedacht. Man hört es hier im Block so oft, dass man gar nicht mehr darauf achtet. Erst als der Colonel heute Morgen Win so begrüßte, habe ich mir Gedanken darüber gemacht. Warum erst jetzt? Der Colonel sprach seine Zeile eindrucksvoll wie ein Theaterschauspieler. Er grüßte Win so bravourös, mit solcher Autorität – solcher Anmut! –, dass ich glaubte, er müsse sich die Worte selbst ausgedacht haben. »Auf Ehre verpflichtet, Soldat!«, sagte der Colonel.
»Die Freiheit zu verteidigen, Sir!«, erwiderte Win.
Win salutierte zackig und präzise. Der Colonel erwiderte den Gruß und hieß Win dann mit einem Nicken wieder bequem stehen.
In ein paar Tagen beginnt mein Tribunal. Als ich dem Colonel erklärte, dass ich mein Bekenntnis gern als Beweisstück für mein CSRT 75 einreichen würde, versprach er, sich persönlich darum zu kümmern. »Sie haben mein Wort.«
»Pfadfinderehrenwort?«, scherzte ich.
»Mein Wort allein genügt. Sie müssen wissen, dass mein Wort zu Ergebnissen führt. Entscheidungen werden getroffen; mein Kommando setzt Männer in Bewegung. Menschenleben stehen auf dem Spiel …«
»Und so weiter, und so weiter«, unterbrach ich.
»Fragen Sie doch den Private«, schlug er vor und nickte zu Win hinüber. »Private, was passiert, wenn ich mein Wort gebe?«
»Sir, Entscheidungen werden getroffen, Sir«, sagte Win. »Ihr Kommando setzt Männer in Bewegung, Sir.«
»Und warum, Private?«
»Sir, Menschenleben stehen auf dem Spiel, Sir!«
»Sehen Sie. So ist das«, sagte der Colonel.
Bisher hatte keiner meiner Mitinsassen im Block sein Tribunal gehabt.
»Der Ablauf ist noch recht neu«, erklärte der Colonel. »Aber machen Sie sich keine Sorgen. Er wird täglich verbessert.«
»Wann lerne ich den persönlichen Vertreter kennen, der mir schon so lange versprochen wird?«, fragte ich.
»Es ist jeden Tag so weit«, erwiderte er.
»Noch vor dem Tribunal?«
»Selbstverständlich. Das sieht der Ablauf so vor.«
»Und was ist, wenn ich mich selbst vertrete?«
»Die Möglichkeit haben Sie natürlich auch, aber davon raten wir Ihnen ab. Es könnte den Vorgang aufhalten, wenn Ihnen alles erklärt werden muss und so weiter. Das könntefür alle Parteien sehr verwirrend sein. Ihr Stellvertreter wird Ihnen aber noch alles erklären, was Sie wissen müssen.«
»Und was ist mit meinem Anwalt aus New York?«
»Was soll mit ihm sein?«
»Warum kann er mich nicht vertreten?«
»Er muss erst vom Pentagon überprüft werden. Außerdem ist es ein Militärtribunal – eine Angelegenheit der Streitkräfte der Vereinigten Staaten. Zivilisten sind nicht zugelassen. Es geht schließlich um die nationale Sicherheit, verstehen Sie?«
»Dann verteidige ich mich selbst«, erwiderte
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