Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
ich.
Irgendetwas an dem Motto dieses gottverlassenen Ortes hat mich veranlasst, mir jetzt Gedanken über die Leute zu machen, die mich gefangen halten. Es sind Männer, die sich einer ihrer Meinung nach guten, gerechten Sache verschrieben haben, die sich in ein paar simplen Worten versteckt. Dieses Ruf-und-Antwort-Paar enthält nämlich einen zerstückelten und vom »Sir, jawohl, Sir« unterbrochenen Satz, der eigentlich eine ganz anständige Ideologie beschreibt: »Auf Ehre verpflichtet, die Freiheit zu verteidigen.« So langsam verstehe ich, wie sich diese Worte auf meine Situation anwenden lassen. Lebe frei oder stirb beim Versuch.
»Ich verteidige mich selbst«, wiederholte ich.
»Das ist Ihr gutes Recht. Aber noch mal … wir raten davon ab.«
»Sagen Sie meinem Vertreter, er braucht nicht zu kommen.«
»Das wäre zwecklos. Ihr Vertreter ist dazu da, Ihnen den Vorgang zu erklären. Auch wenn Sie sich tatsächlich selbst vertreten würden, müsste er bei Ihrem Tribunal anwesend sein.«
»Sie verstehen mich aber, Colonel? Ich möchte mich nicht mehr mit ihm treffen. Ich habe lange genug gewartet.«
Der Colonel regte sich nicht. Er stand nur steinhart da und starrte mir fest in die Augen.
»Wegen Ihnen fliegt uns bald eine Menge Scheiße um die Ohren«, sagte er.
»Bitte?«
»Eine Menge Scheiße. Die ganze Lage ist zum Kotzen. Sie sind wieder in den Medien. Glückwunsch. Eine richtige Patty Hearst. Amerika blutet das Herz. Aber ich lasse mir nicht ans Bein pinkeln. Das können Sie mir glauben. Ich bin immer fair, aber wer mich verarscht, bereut es sofort.«
»Ich …«
»Natürlich haben Sie keine Ahnung, wovon ich rede. Hören Sie mir zu: Nehmen Sie es einfach hin. Zuhören ist Gold – das sage ich auch immer meinen Männern. Und meine Männer hören zu, gehorchen und handeln. Menschenleben stehen auf dem Spiel. Ich lasse mich nicht erniedrigen, Junge. Ich leite hier eine Sicherheitsanstalt, in der einige der gefährlichsten Meisterverbrecher unserer Zeit einsitzen. Hier herrschen Routine und Disziplin. Hitler würde hier einsitzen. Genauso Mussolini, Stalin, Pol Pot und Ho Chi Minh. Auch Bin Laden haben wir bald hier. Verlassen Sie sich drauf. Den kriegen wir. Das gibt sich schon wieder. Nicht der Krieg, sondern der ganze Mist, in den uns die Medien reinziehen wollen. In ein paar Wochen kräht kein Hahn mehr danach. Wenn man es richtig anstellt, bekommt man alles wieder aus den Köpfen und Herzen der Menschen heraus. Erst wird es unterdrückt, dann vergessen. Denken Sie an meine Worte. Was auch passiert, denken Sie daran.«
Der Colonel wandte sich zackig um und verschwand. Win ging in Grundstellung und salutierte in den leeren Gang.
...
NACHWORT
...
Von Gil Johannessen
Ich habe meine Geschichte da angefangen, wo sie auch endet. Auf der Luvseite der Bucht, wo es nur so wimmelt vor Baumratten, wo Leguane als geschützte Art leben wie der amerikanische Weißkopfseeadler und wo Menschen andere Menschen dressieren, wie Hunde zu kriechen, auf Kommando zu fressen und zu scheißen und sich dann für lange, quälende Stunden auf die Hinterbeine zu stellen. Es ist eine kontrollierte, albtraumhafte Evolution, eine kranke Wissenschaft der grausamen und unüblichen Bestrafung. Für uns, die wir gebückt vor dem falschen Ende des glühenden Schüreisens stehen, bedeutet jeder Tag Wahnsinn und Chaos. Das infernale Inferno von Camp Delta. Tod. Nein, schlimmer. Die Ungewissheit des Todes.
– Boyet R. Hernandez
Aus: »Abschlussbemerkung«,
Combatant Status Review Tribunal
Camp Echo
I.
Am Morgen des 11. November 2006 gegen 4.00 Uhr wurde Boy Hernandez von rasselnden Ketten geweckt. Es war Veteran’s Day, der im Camp America mit einer frühmorgendlichen Zeremonie gleich nach der Pledge of Allegiance gefeiert wird. Zwei Militärpolizisten kamen und warfen die Handschellen und Fußketten vor Boys Zellentür. Private First Class Jeffrey Cunningham, Boys Nachtwache, war für ein paar Minuten eingenickt und schreckte hoch. Einer der Militärpolizisten, ein Lance Corporal, verwarnte Cunningham für das Schlafen im Dienst. Er informierte Cunningham über ihren Befehl, den Insassen in ein anderes Lager zu verlegen. Cunningham wusste, dass Boy an diesem Tag verlegt werden sollte; allerdings war der Transport ursprünglich für einen Zeitpunkt nach Cunninghams Schicht geplant gewesen. Die Männer kamen mehrere Stunden zu früh. In diesem Moment flüsterte einer der Militärpolizisten Cunningham eine Parole ins Ohr:
Weitere Kostenlose Bücher