Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
den Ausweis des Mannes zeigen lassen, meine Unschuld bekunden, alles verlangen müssen, was einem Gefangenen zusteht, doch ich war gelähmt vor Angst. Ich wünschte, ich hätte es getan! Ich wünschte, ich hätte die Kraft gehabt, ihnen zu sagen, dass das alles ein riesengroßer Fehler war. Ich hätte verlangen sollen, dass sie mir ein Verbrechen vorwerfen oder mich freilassen sollten! Ich habe nicht mal darauf hingewiesen, dass sie den Falschen hatten. Das sagt doch wohl jeder, sobald er verhaftet wird. Ich nicht. Ich gehorchte einfach. Während meiner ersten Vernehmung beantwortete ich dem Mann einfach nur seine Fragen.
Schon nach ein paar Minuten wurden die Fragen völlig lächerlich. Er wollte wissen, ob ich eine Reise nach Pakistan plane. Als ich verneinte, warf mir der Mann vor, ich hättesehr wohl eine Reise geplant, um Materialien zu schmuggeln. Dann las er mir eine Namensliste vor. Ich sollte mit einem einfachen Ja oder Nein sagen, wen ich kannte. Ich durfte nichts genauer erklären. Da fingen die Schwierigkeiten an. Mir war nicht richtig erklärt worden, was »kennen« hieß. Musste ich mit den Leuten persönlich vertraut sein oder reichte es, von ihnen gehört zu haben? Der Mann fragte nicht: Kennen Sie Soundso? Er las nur den Namen vor, und ich sollte antworten. Die Liste war noch lächerlicher als die angebliche Reise nach Pakistan. Ich war völlig verwirrt, als wir anfingen, besonders weil seine kleine Maschine ihre Schlangenlinien kritzelte, während ich sprach.
Einige der Namen, die mir vorgelesen wurden: Osama bin Laden, Khalid Sheikh Mohammed, Aiman al-Zawahiri, George W. Bush, Dick Cheney, Ahmed Qureshi, Habib »Hajji« Naseer, Michael Jordan, Micky Maus, Ben Laden, Philip Tang, Michelle Brewbaker usw. Es waren gut zweihundert Namen. Nur ja oder nein. Keine Details.
Als wir mit der Liste fertig waren, klemmte er mich von der Maschine ab und ging. Das war’s. Ich habe ihn nie wiedergesehen.
Ich habe versucht, in meinem Geständnis mein ganzes Leben zu beschreiben. Was mir gelungen sein mag, weil mein Leben hinter mir liegt. Ich betrachte meinen jetzigen Zustand nicht als Leben. Das passiert mit einem, wenn man eingesperrt wird. Die Gegenwart wird ruckartig zur Vergangenheit, und was bisher unfassbar erschien – Qual, Elend, tiefstes Leid – ist auf einmal Wirklichkeit. Eine »allmächtige Realität«, wie es mein Special Agent nannte, wenn er einen seiner geliebten Russen zitierte. 74
Ich nähere mich jetzt dem Ende meines Bekenntnisses und habe den Eindruck, dass mir meine Persönlichkeit allmählich entgleitet. Ich bin nicht mehr der Held meiner eigenen Geschichte. Das gehört wohl zum natürlichen Lauf der Dinge hier im Niemandsland.
Auf jeden Fall habe ich versucht, mich beziehungsweise meine Persönlichkeit so genau einzufangen wie möglich. Ich wollte nachzeichnen, wie es war, in meiner Haut zu stecken.
Nach einigen Minuten allein in dem Raum im Newark Airport bekam ich von zwei Männern, deren Gesichter unter den Schirmen ihrer Militärmützen verborgen waren, wieder Handschellen und Fußfesseln angelegt und den Sack übergezogen. Diesmal keine Ohrenschützer, nur schwarzer Stoff vor den Augen. Die beiden schleiften mich nach draußen. Jetzt waren wir auf dem Rollfeld. Ich spürte den Wind und hörte Propellerlärm. Sie setzten mich hinten in einen Lieferwagen und nahmen mir gegenüber Platz. Ich gewöhnte mich langsam an das Gefühl von Metall unter den Füßen und um die Hand- und Fußgelenke. Die Ketten rasselten auf dem Boden, während der Wagen schnell und gleichmäßig über den Asphalt fuhr.
Einer der beiden sagte: »Kein Wort!« Er meinte nicht mich, sondern den anderen.
»Lass es«, erwiderte der.
Ich hörte, wie ich mit einer Handykamera fotografiert wurde. Dass es ein Handy war, hatte ich an dem künstlichen, abgespielten Klicken erkannt.
»Ich nehm ihn runter«, sagte einer.
»Nein.«
»Muss doch keiner wissen.«
»Und wenn’s doch rauskommt? Dann sind wir beide dran. Ich, weil ich nichts dagegen unternommen habe.«
»Wie soll’s denn rauskommen? Wir sind doch schon auf dem Rollfeld.«
»Halt’s Maul.«
»Als hätte er das noch nicht kapiert.«
Der Mann riss mir den Sack vom Kopf. Die beiden waren jung, weiß und gut gebaut. Der eine hielt sich jetzt den Sack vor Mund und Nase und fuchtelte mit dem Fotohandy vor mir herum. Ich starrte das kleine Gerät mit der winzigen Linse in der Ecke an. Es war ein Samsung. Er wollte noch ein Foto machen, aber der Wagen
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