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Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Gilvarry
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Die Schuld daran gebe ich meinen Eltern. Sie haben mich nach Strich und Faden verwöhnt, als Kind wie als fünfundzwanzigjährigen Mann. Und deshalb konnte ich – so unwahrscheinlich ein sauberes Geschäft mit Ahmed auch war, so notorisch er auch log – die zweitausendfünfhundert Dollar, die er mir für die beiden Anzüge anbot, nicht einfach so vergessen. Die Summe schwirrte mir die ganze Zeit im Kopf herum, und ich stellte mir vor, wie ich sie auf mein Konto einzahlte und dann Tag für Tag in Fünfhunderter-Schritten abhob und verprasste. Es schien genug Geld zu sein, um damit für immer auszukommen, auch wenn es gerade mal für vier Tage reichen würde. 19 Das war der amerikanische Traum, und er fiel mir in den Schoß, ohne dass ich danach gefragt hatte.
    Die ganze Nacht träumte ich von Geldautomaten, deren Bildschirme mich überall in Manhattan anblinkten: Wünschen Sie für diese Transaktion eine Quittung? Oder: Möchten Sie Ihren Kontostand abfragen? Lange weiße Papierstreifen flatterten aus den Automaten in die Nachtluft und gingen als sanfter Konfettiregen nieder. Derweil hopste ich über die Seventh Avenue, versuchte, die zarten Papierstreifen aus der Luft zu schnappen, und sang dabei eine Musical-Version des Wu-Tang-Clan-Songs C.R.E.A.M. (» Cash, Rules, Everything, Around, Me/C.R.E.A.M./Get the money/Dollar dollar bill y’all «). Auf eine dieser Quittungen war mit blauer Tinte ganz hell mein Geburtsname gedruckt (Boyet Ruben Hernandez; ich bin nach meinem Vater benannt, Dr. Boyet Hernandez senior, Hals-Nasen-Ohren-Arzt), darunter meine Kontonummer und der verfügbare Betrag von $ 2500, exakt die Summe, die Ahmed mir geboten hatte. Das Gesamtguthaben war jedoch wesentlich extravaganter: $ 250 000 oder $ 2 500 000 oder noch mehr. Es war schwierig, in diesem Dollar-Schlaraffenland genaue Zahlen zu erkennen; die Nullen zogen sich in einer endlosen Reihe über die ganze Quittung.
    Ich schwöre Ihnen, ich verfolgte keinerlei Absichten außer der, das Moos für meinen Einstieg in die New Yorker Modeszene zu verdienen.
    Eine ganze Nacht lang dachte ich über Ahmeds Angebot nach, und dann tat ich exakt, was er von mir verlangt hatte. Am nächsten Morgen ging ich die Treppe zu seiner Wohnung hinunter, weder in aufgeregten Zwei-Stufen-Sprüngen noch langsam und zweifelnd. Ich bewegte mich in durchschnittlichem Tempo, ruhig und gelassen. Ich ging dieses Geschäft so nüchtern an wie ein Profi und wägte innerlich das Für und Wider ab: auf der einen Seite mein Nachbar, ein notorischer Lügner (aber kein Waffenhändler, das versichere ich Ihnen!), auf der anderen das Geld, kalt und hart. Soweit das bekannte Wissen.
    Nun kann ich unmöglich den genauen Gedanken bestimmen, der mir exakt in dem Moment durch den Kopf ging, als ich vor Ahmeds Tür stand. Aber ich erinnere mich an eine höchst verräterische Geste: Meine erhobene Hand erstarrte in der Luft, bevor ich bei diesem Mann anklopfte. Da haben Sie es – ein äußeres Zeichen des Zögerns. Taten, oder in diesem Fall Untätigkeit, können Bände sprechen, wie ich meinem Vernehmer gesagt habe.
    Und wie hätte ich mich abwenden können? Zu diesem Zeitpunkt meinen Kurs noch zu ändern, wäre feige gewesen. Ich bin so einiges, wie Sie bald erfahren werden, aber ein Feigling ganz sicher nicht. Dieser Mann war immerhin mein Nachbar. Das Mindeste, was ich tun konnte, war, Maß an ihm zu nehmen. Stellen Sie sich vor, ich hätte mich einfach nicht blicken lassen und wäre ihm danach im Haus begegnet – wie peinlich. Er wohnte im Erdgeschoss. Ich würde mindestens zweimal am Tag an seiner Wohnung vorbeigehen müssen.
    Das war die Gelegenheit, wie es so schön heißt, und so … klopfte ich.
    »Ich wollte gerade mit Yuksel wetten, wie lange du noch draußen im Flur rumstehst«, sagte Ahmed. »Ich hab dich durch den Spion beobachtet.«
    Ahmed stand in der Tür und trug, wie es aussah, dieselbe Dischdascha wie am Vorabend. Die drei oberen Knöpfe waren offen und gaben den Blick auf weißes Brusthaar in der Form eines großen Diamanten frei.
    Eigentlich bewunderte ich die fließende Eleganz des Gewands. Es war luftig und wallend. Und irgendwie vertuschte es die Tatsache, dass ein haariger, stinkender Mann daruntersteckte. Das war die Kraft der Mode. Unsere abstoßendsten Schwächen zu verhüllen. Ich prägte mir ein, wie die Dischdascha ihm über Schultern und Bauch fiel und dass sie trotz ihrer weißen Farbe erstaunlich schlank machte.
    »Komm rein, Boy, bitte.

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