Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
damals wusste ich nicht, was ich heute weiß. Dem Schema des Verteidigungsministers folgend, ließ sich meine Lage in Ahmeds Wohnzimmer in etwa unter bekanntem Unwissen einordnen – ich wusste, dass es einige Dinge gab, die ich nicht wusste, und das fand ich in Ordnung. Ich sah keinen Grund, in Ahmeds Geschäften oder in seiner Vergangenheit zu schnüffeln.
»Sheela hat das Geschäft und die Wohnung in London bekommen«, fuhr er fort. »Sie hätte auch das Sorgerecht für die Kinder gekriegt, aber wir hatten keine. Es war besser so, für die Kinder. Ihr Anwalt war echt ein unglaublicher Typ. ›Die Schaufel‹ wurde er genannt. Ich vermute ja, sie hat mit ihm gebumst. Ich mach uns jetzt die Paninis.«
Ich war abgelenkt von dem düsteren Ton, in dem Ahmed über seine Ehe lamentierte. Ich hatte tatsächlich Mitleid mit ihm, und so wischte ich den letzten Rest Misstrauen einfach weg. Ich wandte meine Aufmerksamkeit stattdessen wieder dem Klavier zu und drückte auf die Tasten. Was war ich doch für ein schlichter Geist!
Ahmed brüllte etwas aus der Küchenecke, was ich nicht ignorieren konnte. »Verfickter Allah im Pimmelreich! Meine Hand! Meine verdammte Hand!«
»Was ist passiert?«
»Ich hab mir die verdammte Hand an dem Scheiß-Paninigrill verbrannt.«
Mit gesenktem Kopf kam Yuksel aus dem anderen Zimmer gerannt. »Hiiee«, zischte er. Ahmed brüllte ihn auf Arabisch an, und Yuksel holte etwas aus dem Gefrierschrank,was wie ein gefrorenes Stück Schweineschulter aussah. Ahmed schlug es Yuksel aus den Händen. Der schnelle Teufel flitzte ins Bad und kam mit Verbandmull und einem rostigen Erste-Hilfe-Kasten zurück. Jetzt tat mir auch Yuksel leid. Selbst in einer Situation, in der sich jemand eine schwere Verbrennung zugezogen hatte, war er unfähig, irgendeine andere Regung als Fröhlichkeit zu zeigen. Es muss ihn innerlich schmerzen, dachte ich, aber wie konnte er das dem Rest der Welt zeigen?
»Boy, entschuldige bitte. Such dir irgendeine Beschäftigung, ich muss erst mal diese Brandwunde verbinden. Fummel doch bitte weiter am Klavier herum. Wenn meine Hand fertig verarztet ist, spiele ich dir vielleicht was vor, ja?«
Yuksel versorgte die Wunde, trug Salbe auf und umwickelte Ahmeds Hand mit Mull.
»Vorsichtig, du Esel«, wies der ihn zurecht.
Als Yuksel fertig war, wurde er wieder ins Nebenzimmer geschickt. Von weitem sah ich, wie er leise murmelnd auf und ab ging. Er hatte eine beschädigte Seele, da war ich mir fast sicher. Die Erinnerung daran lässt mich an jemanden hier im Niemandsland denken, einen anderen Gefangenen, der während der Hofstunde genau wie ich einen Extrakäfig bekommt. Dieser tollwütige Hund wandert auch die ganze Zeit hin und her, fast exakt genauso. Er ist nicht ganz richtig im Kopf und wurde von den Wächtern mit einem eigenen Spitznamen geehrt: Idiot.
Trotz des Dramas bei der Zubereitung fand ich Ahmeds Panini ziemlich überzeugend, auch wenn ich nicht umhinkonnte zu bemerken, dass es eine ordentliche Portion Schinken enthielt. Das Wenige, was ich damals über die islamische Glaubensgemeinschaft wusste, hatte ich aus dem Fernsehen, wo ich verfolgt hatte, wie der Konflikt zwischen der philippinischen Armee und den islamischen Dschihadisten im Südenausuferte. Ich war also auf dem Gebiet der muslimischen Sitten nicht so bewandert. Aber ich wusste wohl, dass Muslime mehrmals täglich gen Mekka beteten und irgendwann mal Schweinefleisch und Alkohol verboten hatten.
Ich sah zu, wie Ahmed sein Panini hinunterschlang. Die gefrorene Schweineschulter lag immer noch da, wo sie gelandet war. Die Plastikverpackung begann zu beschlagen. Ich konnte meine Neugier über Ahmeds Ernährungsgewohnheiten nicht mehr zügeln. Das mit dem Schwein ließ mir keine Ruhe. »Das ist köstlich, Ahmed. Ist das Schinken?«
»Wildschweinkopf.«
»Hm. Hervorragend. Entschuldige, dass ich so dumm frage, aber ich dachte, Moslems dürfen kein Schweinefleisch essen?«
»Ach, ich weiß, wie ich rüberkommen muss. Aber bitte, Boy, lass dich von meiner Kleidung nicht irreführen. Ich fürchte Allah nicht. Und der Koran ist auch nicht so mein Fall. Dieses Gewand hier ist nur ein Hausanzug. Ich bin kein Moslem. Vielleicht war ich mal einer. Jetzt bin ich einfach nur ein Kanadier.«
Den letzten Satz ließ ich in der Luft schweben. Ich hatte zwar noch nie einen echten Kanadier kennengelernt, aber es war allzu offensichtlich, dass Ahmed log. So offensichtlich, dass ich glaubte, er wollte mich auf die Probe stellen
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