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Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Gilvarry
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– Vivienne Cho, Philip Tang –, aber keine Investoren. Und während ich sowieso schon alles allein machte – designen, nähen, kreieren –, musste ich also auch selbst den Headhunter geben. Ich hatte ursprünglich vorgehabt, eine kleine, aber feine Kollektion fertigzustellen, mir ein Studio in Williamsburg zu sichern und dafür zu sorgen, dass Vivienne und Philip sich in meine Kreationen verliebten und mich den richtigen, sprich investitionsfreudigen Leuten vorstellten, alles im Namen der Haute Couture.
    Als ich am Freitag vor Thanksgiving nach Hause lief, um meine Wochenendtasche zu holen, merkte ich, dass mir jemand folgte. Vor den Kosciuszko-Lagerhäusern, wo sich ein Pulk ehemaliger Sarah-Lawrence-Studenten niedergelassen hatte, drehte ich mich um und sah in die grellen Lichter eines Wagens, der hinter mir hertuckerte. Ich ging langsamer, aber das Auto fuhr nicht vorbei, sondern rollte neben mir her. Jeder, der ein bisschen amerikanische Straßenschläue besitzt, wird Ihnen sagen, dass das nichts Gutes bedeutet.
    »Boy!«, rief jemand, und ich erkannte die Stimme sofort. Es war Ahmed. Er hielt mit einem kleinen Hybridauto, einemToyota Prius, am Straßenrand. »Wusste ich’s doch, dass du das bist. Den Gang erkenn ich überall. So geht nur ein Filipino, hab ich mir gedacht. Dieses zusammengewürfelte Opportunistenvölkchen! Die sind überall. Mensch, wie geht’s dir, mein Freund?«
    Ich ging zur Fahrerseite hinüber und schüttelte ihm die Hand. Er hatte einen seiner neuen Anzüge an. Den grauen Plaid-Zweireiher. Das Jackett trug er offen, ohne Hemd darunter. Seine freie Brust erinnerte mich an den Schauspieler Philip Michael Thomas aus Miami Vice , dem ich als Jugendlicher stilistisch nachgeeifert hatte.
    »Guck dir die Kiste hier an«, sagte Ahmed. »Das ist ein Zipcar.«
    »Was heißt das?«
    »Es ist so eine Art Leihwagen, bloß dass es keiner ist. Der hier ist ein Hybrid. Du solltest sehen, wie der Reiskocher abgeht. Kaum zu glauben. Komm, steig ein. Wir drehen ’ne Runde.«
    »Nein danke. Ich hab’s eilig.«
    »Dann erst recht.«
    Genau in dem Moment hörte ich, wie irgendwo eine Flasche zerschlagen wurde, also eilte ich vorn um den Wagen und stieg ein.
    Wir fuhren den Broadway entlang, unter der Überführung der Jamaica Line hindurch. Das war der Broadway von Brooklyn, eine Aneinanderreihung immer gleicher Häuserblocks, in denen jedes Geschäft nach seiner jeweiligen Dienstleistung benannt war – Hair Braided , Checks Cashed , Jewelry Bought and Sold – und wo junge Männer in Trauben vor China-Imbissen zusammenstanden und von weißen Styroportellern aßen.
    »Wohin denn so eilig?«
    »Ich fahr heute Abend nach Bronxville. Aber vorher muss ich noch schnell zu Hause vorbei.«
    »Bronxville? Was zum Geier ist denn in Bronxville?«
    »Meine Freundin.«
    »Deine Perle? Weiter Weg für eine kleine Muschi. Dann muss sie’s ja wert sein.«
    »Auf jeden Fall«, erwiderte ich. »Sie ist total scharf.«
    »Wie heißt sie? Deine Perle?«
    »Michelle.«
    »Ah, Michelle. ›Mii-chelle, my belle. Sont les mots qui vont très bien ensemble‹ … Das ist französisch, das heißt, ›diese Wörter gehen sehr gut zusammen‹, oder ensemble . Die Beatles. Neunzehnhundertpaarundsechzig. Das Geburtsjahr des Rock ’n’ Roll.«
    Ahmed versprühte einen Enthusiasmus, eine Art Lebe-für-den-Moment-Gefühl, das einen über die Ungereimtheiten im Detail leicht hinwegsehen ließ. Und denken Sie daran, wir waren beide Fremde und verständigten uns nicht in unserer Muttersprache. Bei Ahmed war es die dritte oder vierte Fremdsprache. Miteinander sprachen wir ein Außenseiter-Englisch. Eine Sprache, in die manchmal Begriffe aus unseren Heimatländern einflossen, unübersetzbare Herzenswörter. Aus unseren Mündern kam die Welt ensemble .
    »Du weißt, wo ich wohne, Boy. Womit hab ich die Beleidigung verdient, dass du mich nie besuchen kommst? Es sei denn natürlich, du hast gearbeitet. Du Genie.« Er zupfte sich am Revers. Dann erinnerte er mich an unseren Vertrauensbund und verglich ihn mit einem Mammutbaum.
    »Du wirkst so beschäftigt. Wenn du was auf dem Herzen hast, spuck’s aus. Friss es nicht in dich rein. Das ist Gift fürs Herz, mein Freund.«
    »Ich bin bloß spät dran, das ist alles.«
    »Du bist spät dran. Dann fahr ich dich.«
    »Quatsch, das dauert bestimmt eine Stunde.«
    »Blödsinn. Es ist mir eine Ehre. Außerdem hab ich denHybrid hier noch den ganzen Abend. Muss dir doch zeigen, was das Baby auf

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