Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Marktfähigkeit und den Zustand der Haute Couture losgelassen hat. Und ist dir mal aufgefallen, dass er immer das letzte Wort haben muss? Außerdem meint er, er hat die Weisheit mit Löffeln gefressen.«
»Ja, aber er ist ein Genie«, sagte ich.
»Ist er nicht.«
Sie war einfach nicht so auf ihn angewiesen wie ich.
Philips Studio lag in der alten Superglue-Fabrik an der Grand Street, nur ein paar kurze Blocks von meinem neuen Loft auf der Kent Avenue entfernt. Vor Kurzem hatten Michelle und ich mein Wohnzimmer eingerichtet, mit zwei Pröntö-Sesseln und einem niedrigen Couchtisch, kaum eine halbe Schienbeinhöhe über einem kleinen Lammwollteppich. Skandinavische Modernität. Nachdem Michelle einen ihrer kostbaren Samstage geopfert hatte, um mir beim Zusammenbauen zu helfen, musste ich ihr versprechen, sie zu Philip mitzunehmen, denn sie stand total auf seine Sachen.Ich hatte den unvermeidlichen Zusammenprall der beiden lange genug hinausgezögert. Außerdem muss ich gestehen, dass ein Teil von mir Philip auch unbedingt meine Michelle vorstellen wollte. Er war zwar stockschwul, aber ich glaubte, ich könnte ihn trotzdem mit ihr beeindrucken, denn sie war eine weiße Amerikanerin aus gutem Hause.
»Wie schön, dass du in New York bist«, verkündete Philip, kaum dass er die Tür geöffnet hatte. »Komm her.« Wir begrüßten uns mit Küsschen. »Wollt ihr zwei Hübschen Champagner?«
»Jetzt schon?«, fragte ich. Es war zehn Uhr morgens, mitten im Februar. Kaum der richtige Zeitpunkt für Schampus. Woher sollte ich auch wissen, dass es der Tag war, an dem ich richtig durchstarten würde?
»Wir feiern hier gerade ein bisschen. Hab ich dir das nicht erzählt? Ich hab mich nun doch verkauft. Gap hat mich für eine Kampagne engagiert. Aber das läuft nur so nebenbei. Ich soll das kleine Schwarze neu erfinden. Gap will seinem Image wieder mehr Sex verleihen. Ein bisschen Glamour für die Vorstädte. Einen Hauch Tang für die Malls. Letztes Jahr hat es Doo Ri Chung gemacht. 48 Die Kohle ist unglaublich. Ich kaufe uns allen jetzt türkisblaue Vespas.«
Er rief in den hinteren Teil seines Studios, wo ein paar seiner Assistentinnen um eine Schneiderpuppe herumstanden und Polaroids machten. »Rudy, hol doch mal den Champagner aus dem Minikühlschrank. Und komm mal her, ich muss dir meine Freunde vorstellen.«
Rudy Cohn, eine bildschöne schwarze Jüdin, war seit Philips Tagen als Assistent von Alexander McQueen eine gute Freundin von ihm. Sie war oft bei ihm im Studio, denn er schätzte ihre Meinung so wie ich die von Olya, auch wenn ich sie selten sah, seit Michelle in mein Leben getreten war. Jetztversuchte sich Rudy nebenbei als Stylistin für Stars in Amerika und Europa. Was für mich und meine Situation eine besondere Bedeutung hatte: Sie war die Stylistin von Chloë. Die Schauspielerin, Sängerin und Songwriterin war auf dem besten Weg, die nächste Madonna zu werden, vielleicht schneller, als die Welt eine brauchte, und Rudy sollte ihr dazu das Richtige anziehen. Chloë war noch nicht allzu berühmt. Ihr zweites Album, Blueballer , mit dem sie eine Grammy-Nominierung einheimsen würde, war noch nicht »raus«, wie man so sagt. Und so passte ihr Knackarsch noch in Sachen von einem unbekannten Designer wie mir.
Rudy kam mit Champagner und Plastikbechern. Ich war hingerissen von ihrem Manchester-Arbeiter-Akzent, der an diesem Wintermorgen durch eine Bluse mit äußerst geschmackvollem Dekolleté ergänzt wurde, gerade tief genug, dass sich die Fantasie in dem Spalt zwischen ihren mokkafarbenen Brüsten verlieren konnte. Sie duftete nach irgendetwas von Serge Lutens. Cedar oder Ambre Sultan. Nein, jetzt fällt es mir wieder ein, es war Sa Majesté la Rose .
»Ach Kinder, hier geht es ja zu wie im Tollhaus«, sagte Philip. »Ich arbeite tausend Stunden am Tag. Zum einen diese Gap-Geschichte, aber ich entwickele ja auch noch die neue Herbst-Linie.«
»Und vergiss nicht Chloë«, sagte Rudy.
»Genau, richtig. Chloë kommt heute Nachmittag auch noch vorbei.«
Wer hätte da keine Sternchen gesehen? Als ich Chloës Namen nur hörte, platzte ich schon fast vor Neid. Sie kam in Philips Studio, um ihn zu besuchen. Ich musste dabei sein! Diese Gelegenheit durfte ich mir nicht entgehen lassen. »Wirklich?«, quietschte ich.
»Der Popstar?«, fragte Michelle, mit einer hauchdünnen Spur von Sarkasmus in der Stimme.
»Warte mal ein paar Monate, dann ist sie mehr als ein Popstar«, antwortete Rudy. »Sie hat sich als
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