Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Schauspielerin echt gemacht.«
Philip schenkte mir ein. »Eigentlich könntest du dich mal mit Rudy unterhalten, Boy.« Er wandte sich ihr zu. »Boy hat eine fantastische Kollektion in Arbeit. Zieh Chloë doch irgendwas von ihm an.« Dann sah er mich an. »Boy, du brauchst einen Presseagenten, damit die Sache in Gang kommt. Ruf mal meinen Freund Ben Laden an. Der Mann ist eine Wucht.« Er ging zu einem Tischchen hinüber und kam mit Bens Visitenkarte zurück. »Tut mir schrecklich leid«, sagte er zu Michelle. »Ich hab heute voll ADS. Es passieren zig Sachen auf einmal. Wie geht’s dir?«
Sie lächelte über Philips Enthusiasmus, aber es war ein künstliches Lächeln, das sah ich genau. Sie hatte ihn schon jetzt gefressen.
Wir nahmen auf dem Sofa Platz, abseits der Polaroid-Blitze, und tranken unseren Champagner. Philip stand auf. »Wir haben vergessen anzustoßen.«
»Mein Gott, Philip. Wir tun den ganzen Morgen nichts als anstoßen.«
»Tja, wir feiern ja auch.«
»Wir feiern die ganze Zeit«, erwiderte Rudy.
»Was soll ich sagen? Auf Boy und Michelle! Ihr seid so süß zusammen. Sind die zwei nicht zuckersüß?«
Rudy errötete.
Philip setzte sich neben Rudy und legte ihr ganz vertraut seinen kleinen, rasierten Kopf auf die Schulter, als wären sie ein Pärchen. Rudy sah mich an, und Michelle zuliebe versuchte ich das unüberhörbare Knistern zwischen uns zu ignorieren. Aber Michelle hatte sehr feine Antennen. Unser kleiner Flirt entging ihr nicht, und sie musterte mich. Selbst als ich meine Aufmerksamkeit bereits demDachfenster zugewandt hatte, spürte ich noch ihren Blick auf mir lasten. »Tagsüber wird dieses Studio wunderbar hell«, sagte ich.
»Wann sollte es denn sonst hell werden?«, fragte Michelle.
»Da hast du wohl recht.«
»Michelle, wusstest du eigentlich, dass Boy damals auf den Philippinen der Star war?«, fragte Philip. »Guck dir mal die Blogs während der letzten Philippine Fashion Week an. Alles drehte sich nur um Boy.«
»Ich wusste nicht mal, dass es überhaupt eine Philippine Fashion Week gibt«, antwortete sie.
»Ich auch nicht.«
»Boy ist bloß bescheiden. Michelle, wenn du sehen willst, was für ein Wirbel um diesen Knaben gemacht wird, geh mal auf Bryan Boy dot com. Bryan Boy, die clevere Schlampe, hat es über Nacht vom Blogger zum Modekritiker geschafft. Seine Seite hat zigtausend Besucher am Tag. Ich hab Marc letzte Woche von ihm erzählt. Er will vielleicht eine Tasche nach ihm benennen.« 49
Einen Tag, bevor ich aus Manila wegging, hatte Bryan Boy auf seinem Blog ein paar Sätze über meine Kleider geschrieben. Das war die bislang einzige Berichterstattung meiner Karriere.
Eine von Philips Assistentinnen hatte irgendeine Frage und rief nach ihm. Ich glaube, es war Julia, die sich um die Stoffe kümmerte. Während Philip und Rudy also von dieser Julia abgelenkt waren, sah mich Michelle mit weit aufgerissenen Augen an und formte mit den Lippen die Worte: »Raus hier.« Sie tat, als würde sie sich erhängen. Mit einem entsprechenden Gesicht bettelte ich um noch ein paar Minuten, woraufhin sie ihr imaginäres Seil fester zog, dessen Schlinge noch enger wurde und sie erwürgte.
»Alles klar?«, fragte Rudy.
»Ja, keine Sorge. Das ist nur der Champagner. Ich muss davon immer würgen.«
»Ha«, sagte ich.
Bei späteren Begegnungen mit Modeleuten wie Philip steckte sich Michelle oft eine nicht vorhandene Pistole in den Mund, schlitzte sich mit dem Zeigefinger die Kehle auf oder tat so, als würde sie den Kopf in den Ofen stecken. Ich fragte sie einmal, wie sie bloß so angewidert sein konnte von meinen Leuten, wo sie doch selbst so modebewusst war. Erinnern Sie sich, nicht zuletzt ihre Stilsicherheit hatte mich so unheimlich an ihr fasziniert. Sie sagte zu mir: »Ich liebe Klamotten. Ich brauche diesen Leuten bloß nicht so in den Arsch zu kriechen wie du. Diesen abscheulichen, egozentrischen … Hyänen !«
Philip hatte in einem Zeitraum von nur wenigen Monaten wirklich unerhört viel produziert. Und fast alles war genial. Er hatte zwanzig bis dreißig neue Looks vollendet. Zum Vergleich: Meine erste Kollektion bestand aus zehn oder zwölf Looks.
»Ich bin jetzt echt voll auf baggy«, sagte er.
»Baggy trifft’s aber nicht ganz, oder?«, entgegnete Rudy.
»Nein, wahrscheinlich nicht. Nicht baggy, mehr so locker.«
»Ja, eher locker als baggy.«
»Wo liegt der Unterschied?«, fragte Michelle dazwischen.
»Baggy, das sind weite Jeans, die man unterhalb der
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