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Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Gilvarry
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Hüfte trägt, richtig? Hip-Hop ist baggy«, sagte Rudy. »Baggy ist gewollt, oder? Das hier ist locker.«
    »Und bauschig«, fügte ich hinzu.
    »Na denn«, sagte Michelle abschließend, als wäre das Ganze sinnloser Quark.
    Philip zeigte uns einen Großteil seiner Kleider. Sie waren knielang und ärmellos, aus exquisiten Wollstoffen. Er nahm ein paar von der Stange und hielt sie nacheinander ins Licht. Als wir Studenten waren, hatte ich ihn bewundert, aber jetzt, als ausgereifter Künstler, hatte ich Ehrfurcht vor ihm. Wie neu das alles war, wie anders als alles, was ich bisher gesehen hatte, auch von ihm! Diese neue Linie war sehr viel düsterer als seine vorherigen. Sie grübelte und schlurfte. Sie war Kummer, Qual und Eifersucht. In ihr sah ich mich selbst. Und hält uns die größte Kunst nicht entgegen, wer wir sind? Guernica , Der Schrei . Welch ein Geschenk, einen Künstler von seinem Format auf der Höhe seines Schaffens zu erleben! Selbst Michelle musste ihm, was seine Kleider anging, Gerechtigkeit widerfahren lassen. Sie fand ihn widerwärtig, ja, aber über seine Sachen konnte sie nie etwas Schlechtes sagen.
    Ach, wie konnte er doch Schönheit wirken! Ein Kleid blieb mir besonders in Erinnerung. Ich könnte es bis heute aus einem Line-up herausziehen. Es war ein ärmelloses, schwarzes Abendkleid aus recycelten Strumpfwaren. Öko brachte Aufmerksamkeit. Es hatte einen gerüschten Rock, Lage auf Lage wie eine blühende Blume.
    Bauschig und locker waren die falschen Begriffe, um es zu beschreiben. Es war fließend und beweglich, obwohl es aus höchst einengenden Materialien bestand. Der Saum war mit einer Spitze aus schwarzen Blumenknötchen besetzt. Es war ein völlig untragbares Kleid, und trotzdem wusste man, es würde das Kernstück der Kollektion werden. Ich glaube, genau wegen diesem Kleid sprang der CFDA 50 vor Freude im Dreieck. Sie verliehen Philip den Titel Best New Designer 2003. Acht Monate später war es in der Tate Modern zu sehen. Joseph Beuys, Marlene Dumas, Pollock, Tang 2.0.
    Verdammt, er war einfach teuflisch gut.
    Michelle zerrte mich raus, bevor ich die Gelegenheit bekam, Chloë kennenzulernen. Kaum dass wir auf der Straße waren, setzte sie zu ihrem Verriss des Vormittags an. »Widerlich. Absolut daneben. Diese Leute sind ja so was von krank in der Birne. Hast du mitgekriegt, wie dein Freund Philip mir diese Mustergrößen angeboten hat, obwohl er haargenau wusste, dass ich in nichts davon reinpasse? Und ich musste hingehen und interessiert tun. Und diese Rudy! Bah. Tut mir leid, das sind deine Freunde, ich weiß, aber ich kann einfach nicht mit solchen Leuten.«
    Aber genau über diese widerlichen, kranken Leute lernte ich Ben Laden kennen, meinen zukünftigen Presseagenten und guten Freund. Ohne Philip würde ich vielleicht im Garment District von Manhattan in irgendeinem Kabuff hocken und Brautkleider zusammennähen. Andererseits wäre Brautkleidernähen alles in allem vielleicht ein besseres Schicksal als meins gewesen.
    Wenn ich mich an diesen Moment in meinem Leben erinnere, beginne ich unwillkürlich über das Schicksal nachzudenken. Die meiste Zeit meines Lebens glaubte ich, mir wäre ein bestimmtest Schicksal vorbestimmt, ein Daseinszweck. Ich war der Meinung, das Leben hielte Gutes für mich bereit, wenn ich nur an mich glaubte. Aber sehen Sie sich an, was aus mir geworden ist. Und übrigens auch aus Ben. Was hat er verbrochen? Ein geborener Amerikaner, irischer Katholik, um genau zu sein. Man würde meinen, er hätte das Glück auf seiner Seite. Aber wegen einer phonetischen Ähnlichkeit seines Namens mit dem des meistgesuchten Mannes der Welt verlor Ben schließlich einen Großteil seiner Klienten. Jemand anders hatte Mist gebaut, und er musste dran glauben. Wahrscheinlich gibt es so etwas wie das Schicksal gar nicht. Nur den Zufall. Das Leben ist eine Abfolge von Zufällen. Es war reiner Zufall, dass Rudy Cohn, Stylistin von Chloë, ausgerechnet an diesem Tag in Philips Studio war und dass er ihr meine Arbeit schmackhaft machte, wodurch er eine Reihe von Ereignissen in Gang setzte, die dazu führen würde, dass Chloë zwei Jahre später bei den Grammys in meinem Inside-out-Kleid auf dem roten Teppich erschien (ihre Hit-Single »Chas-titty« würde sie am selben Abend dann jedoch in Philip Tang 2.0 präsentieren). Mein Aufstieg als angesagter Jungdesigner wurde durch Ben Ladens Klientenschwund nach 9/11 herbeigeführt, durch Zufall, und so bekam ich einen engagierten

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