Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
egal, was Michelle mit Todd Wayne anstellte.) Wie kann sie mir so in den Rücken fallen, während ich hier drin verrotte? Sie ist die Einzige da draußen, die die Wahrheit kennt. Sie war doch in der Nacht der Überwältigenden Heimsuchung bei mir! Warum muss ich auch noch für eine gescheiterte Beziehung büßen, wenn ich doch schon für alles andere bestraft werde? Kann ich nicht ein einziges Mal verschont bleiben? Vielleicht ist es bei mir wie im Koran: Ich wurde zu einem Dasein in Bedrängnis erschaffen.
Was habe ich mir vorzuwerfen außer meiner Liebe zu Amerika? So läuft es doch immer: Man liebt jemanden mit Haut und Haaren, und zum Dank wird man verraten und verkauft.
Ich werde auf der Bühne dargestellt von Lou Diamond Philips aus Stand and Deliver und La Bamba . Im Artikel steht, Lou Diamond spiele Guy, den Modeterroristen, der gegen Geld auch mal eine Nacht lang schwul sei.
Was für ein infamer Angriff auf meine Sexualität! Wie gesagt, ich liebe Frauen! Ich kann alle meine Frauen auf der Karte von New York und Metro Manila markieren, kleine Stecknadeln auf dem Papier und in meinem Gehirn. Manche reizen immer noch den Nerv zu meinem Herzen. Ist das nicht ein Gefängnis der Liebe? Allein zu sein mit der stechenden Migräne eines gebrochenen Herzens? Ja, sicher lässt der Schmerz nach, aber er hört doch nie ganz auf. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis man die Verflossene irgendwo mit einem Banker-Chinesen beim Dinner sieht. Dann folgen die qualvollen SMS mitten in der Nacht:
– Hör auf, mir BSOFFEN zu txtn
– Wer war das?
– N Freund
– Leck mich! Hab dich GLIEBT!
– Hasts nie gsgt
– Und ob, du SCHLAMPE!!!
– Wann???
– Fire Island! Schn vrgssn?
– Hasts nie gsgt
Hab’s nie gsgt. So viel Salz in meine Wunden! Ich habe es so vielen Frauen so oft gesagt. Aber Michelle nie. Diesen innigsten Bund, diese drei kleinen Worte habe ich ihr vorenthalten. (Die Sache mit Fire Island war gelogen, s. o.) Muss ich dafür jetzt büßen?
Die Hauptrolle der Freedom spielt die abscheuliche Schauspielerin-Sängerin-Songschreiberin Chloë. Wo bleibt denn da die Gerechtigkeit? Es handelt sich um genau die Schauspielerin-Sängerin-Songschreiberin, die mich überhaupt erst ins Geschäft gebracht hat. Das junge Starlet, das erst letztes Jahr in einem Kleid von mir bei den Grammys über den roten Teppich stolzierte. Ich habe das Ganze auf VH1 verfolgt. Als sie nach ihrem Kleid gefragt wurde – einer umwerfenden Abendrobe –, schaute Chloë direkt in die Kamera und sagte: »Das ist von Boy .« Oh mein Gott, dachte ich, ich hab’s geschafft.
Ich kann nur davon ausgehen, dass Chloë die Rolle der Freedom angenommen hat, um ihren Ruf zu retten. Schließlich hat die Verbindung zu mir bei den Grammys ihrer Karriere sicher nicht geholfen. Und wie konnte sie ihr Image besser kitten als mit der Hauptrolle in Michelles opulentem Opus? Zwar scheint für eine Künstlerin von Chloës Format (Don’t you want my chas-titty? / Don’t you need my chas-titty?) ein Off-Broadway 57 -Debüt alles andere als standesgemäß, doch im Krieg gegen den Terror muss frau eben ihre Pflicht tun. Im heutigen politischen Klima tut sie gut daran, zuerst Patriotin, dann seriöse Schauspielerin und zu guter Letzt Popstar zu sein.
Chloë. Du, die du mich berühmt gemacht hast. Ich trinke auf den Tag, an dem man dich auf Fotos in der Us Weekly mit Dehnungsstreifen irgendwo am Pool liegen sieht.
So langsam habe ich den Eindruck, dass Michelles Sicht auf die Menschheit – alles ist so schrecklich »ironisch« – genau die richtige ist. Wir ertrinken in Ironie. Jeder Einzelne von uns! Du, ich, sogar Lou Diamond, denn wenn das Stück nach meiner Verhandlung als absolute Farce bloßgelegt ist, verschwindet er garantiert wieder in der Versenkung. 58
Meine größte Angst in Bezug auf diese neue Entwicklung ist die, Michelle könne tatsächlich die öffentliche Meinung beeinflussen. Denn die Unterhaltungsindustrie hat die Menschen fest im Griff. Klar, wenn die Regierung eine Geschichte wie meine erzählt, wird es immer Leute geben, die sie glauben, treue Anhänger, die ihrem Anführer wie Schafe hinterhertrotten, egal was für ein stotternder Vollidiot er ist, aber andererseits kann man sich auch auf eine gewisse Anzahl von Zweiflern verlassen, Bürger, die das infrage stellen, was ihnen die Medien wie Flüssignahrung einflößen. Um diese Gruppe mache ich mir Sorgen. Denn niemand ist gegen die Kraft anspruchsvoller Kunst gefeit, wenn sie
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