Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
mir schickst, hat aber nicht den richtigen Look. Ich brauch eine mit Style. Schon für die Kunden. Vielleicht mit ’nem Bob.«
»Hör sich das einer an. Denkst wohl, ich schick dir Chanah aus Crown Heights. Ich lass dir deinen Antisemitismus dieses eine Mal durchgehen und weise dich lieber darauf hin, dass wir immer noch keinen Gewinn gemacht haben, solange dein Vorschuss von Barneys nicht auf dem Konto ist.«
»Jetzt komm schon«, sagte ich. »Es ist doch überhaupt schon ein Wunder, dass ich es ohne Assistentin so weit gebracht habe. Dann eben nur Teilzeit. Nur um meinen Kalender zu verwalten.«
»Was soll’s. Mich fragt ja sowieso keiner. Wenn sie uns auf Sozialleistungen verklagt, sage ich Ahmed, du bist schuld.«
»Wo ist Ahmed überhaupt?«
»Moskau? Madrid? Tupelo, Mississippi? Ich hab da keinen Überblick mehr. Er wahrscheinlich selbst nicht.«
»Was soll das denn heißen?«
»Ach, nichts. Wirf bloß fürs Erste nicht mehr ganz so viel Geld aus dem Fenster, okay?«
»Ich versteh dich nie so richtig.«
»Du kriegst deine Assistentin, aber jetzt lass mich in Ruhe. Ich muss weg, okay?«
»Wenn du was von Ahmed hörst, sag ihm, er soll mich anrufen.«
Wahrscheinlich hatte ich schon befürchtet, dass Ahmed mich irgendwie benutzte. Doch worauf gründeten diese Befürchtungen? Darauf, dass er an mich und mein Label glaubte? Dass er nicht oft genug da war? Ich ließ mein Misstrauen nicht zu. Die Konten liefen alle auf meine Firma, und nach meinem Debüt im Bryant Park kannte die ganze Welt (B)oy – wenigstens die Welt, die mir etwas bedeutete. Der bescheidene Ruhm, den ich mir erarbeitete, würde mein Sicherheitsnetz sein. Sollte ich fallen, würde die Branche mich auffangen, da war ich mir sicher.
Die Kleider waren echt. Mein Misstrauen war ein Hirngespinst.
Ich fand eine Textildesign-Studentin von der Parsons School, die kostenlos arbeitete, für ein paar Kleider und vier Credit Points für ihr Praktikum. Begeistert rief ich sofort Dick an, um ihm meinen Sparerfolg unter die Nase zu reiben.
»Ich hab deine sechs Dollar pro Stunde unterboten. Wie wär’s mit umsonst? Ha!«
»Tatsächlich?«, erwiderte er.
»Ich habe jetzt eine Praktikantin. Mit Bob und allem.«
»Herzlichen Glückwunsch. Und jetzt geh ein Kleid schneidern und ruf mich erst wieder an, wenn es absolut perfekt ist.«
Marcela kam ein paar Tage pro Woche vorbei, machte Termine aus und half mir mit den Kunden. Irgendwie erinnerte sie mich an Michelle. Sie waren beide in Westchester aufgewachsen und trugen oft Vintage-Sachen von DVF. Diese Ähnlichkeit hatte bei mir unschöne Auswirkungen: Ich war verwirrt und geriet ins Zweifeln. Plötzlich vermisste ich die gemeinsamen Sonntage mit Michelle. Diese müßigen Sonnenstunden in ihrem Behindertenzimmer, in denen der Alkohol aus unseren Körpern ausdünstete und sich mit dem Duft von Morgensex vermischte. Diese Sehnsucht nach unserer Vergangenheit überkam mich tatsächlich erst, als Marcela bei mir anfing.
Es verletzt mich zutiefst, dass Michelle aus unserer Beziehung ein Bühnendrama gemacht hat. All diese wahren Gefühle und Erinnerungen, seit ich sie in die Wüste geschickt hatte, sind jetzt verdorben. Doch wer ist denn hier wirklich hereingelegt worden? Der, der zu Unrecht in dieser Zelle sitzt? Oder die, die in die riesige Publicity-Falle der aktuellen Regierung getappt ist – dass ich der Fashion-Terrorist sei?
Nach einer langen, stressigen Woche traf ich mich an einem Freitagabend im Mai 2006 mit Rudy zum Abendessen im DuMont in Brooklyn. Wen sehe ich da plötzlich? Michelle, mittlerweile Uni-Absolventin, zwei Kilo leichter und mit frischem Pixie-Cut. Ihr fantastischer schwarzer Lidschatten gab ihr etwas Gefährliches, das ich ihr nie zugetraut hätte. Eine Mischung aus Femme fatale und Twiggy. Damals hatte ich keine Ahnung, wie stark ihre dunkle Seite werden würde. Ihr gegenüber saß ein Chinese, der aussah, als wäre er direkt von der Arbeit in der Personalabteilung von Procter & Gamble gekommen. Ich konnte den beiden nicht mehr ausweichen. Sie saßen gleich vorne am Fenster, und ich wusste, dass Michelle mich sofort gesehen hatte, als ich zur Tür hereingekommen war. Also nahm ich all meinen Mut zusammen und ging zu ihnen an den Tisch.
»Hi«, sagte ich quietschvergnügt, woran man sehen konnte, dass mir gar nicht wohl war.
Michelles Überschwänglichkeit stand meiner in nichts nach: »Boy? Na? Was machst du denn hier?« Dann warf sie ihrem Date einen entschuldigenden
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