Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Blick zu, der mich stinksauer machte.
»Essen. Wie du.« Ich wandte mich dem Amerikaner asiatischer Abstammung zu und stellte mich vor: »Boy Hernandez.« Dann sah ich wieder Michelle an.
»Naja, ich wollte nur mal eben hallo sagen«, erklärte ich.
»Nur mal eben? War dir also nicht so wichtig?«
»Lass uns doch nicht mit so was anfangen. Wie geht’s dir so?«
»Mir geht’s super! Ich hab letzten Monat dein Porträt in der W gelesen. Du bist genau so rübergekommen, wie ich es erwartet hatte.«
»Wie denn?«
»Wie jemand völlig anderes.«
Die Bedienung schlich hinter mir mit dem Essen heran und bot mir eine günstige Gelegenheit zu gehen, bevor Michelle völlig der Appetit verging. »Okay, ihr beiden, lasst es euch schmecken! Ich ruf dich mal irgendwann an«, sagte ich.
»Bitte nicht.«
»War schön, dich kennenzulernen, Guy.«
Ich konnte hier nicht essen, während meine Ex gerade ein halbes Hähnchen verschlang und dabei einem Typen gegenübersaß, dessen Frackhemd einen Hauch von Hoboken, New Jersey verströmte. Rudy wartete hinten auf der Terrasse schon auf mich, und ich küsste sie auf beide Wangen und erklärte ihr, als gerade der Brotkorb auf den Tisch gestellt wurde, dass wir jetzt gehen würden.
»Wieso denn?«, fragte sie. »Es ist doch so schön hier draußen.«
»Ach weißt du«, fing ich an und dachte mir schnell etwas aus. »Ich hab Sodbrennen. Komm, wir gehen zum Japaner.«
»Ich war heute Mittag schon beim Japaner.«
»Dann eben Thai. Scheißegal!«
»Ist ja gut, dann gehen wir eben.«
»Eine Bitte: Wir müssen Händchen halten, wenn wir vorne durchs Restaurant gehen.«
»Ah, jetzt hab ich’s. Alles klar.« Auf Rudy konnte ich mich immer verlassen, selbst wenn ich unfair zu ihr war. Wir gingen Hand in Hand, und als wir Michelles Tisch streiften, verpasste sie mir einen fetten Schmatzer auf den Mund. Rudys Zehn-Zentimeter-Absätze hatten genau den richtigen Effekt, als wir ohne Hast das Restaurant verließen.
In dieser Nacht schickte ich Michelle nach einer Flasche billigem Rosé sternhagelvoll mehrere bedauerliche SMS. Nachdem ich am nächsten Morgen das gespeicherte Protokoll unseres Streits auf dem Handy gelesen hatte, rief ich sie an, um mich zu entschuldigen. Zu meiner Überraschung ging sie ran, und ich erfuhr, dass sie jetzt in Brooklyn lebte. Sie wohnte im Reihenhaus ihrer Großmutter, bis es endlich verkauft war. Wir trafen uns auf einen Kaffee und aßen zusammen zu Abend. Anscheinend fühlten wir uns beide schrecklich einsam. Da Liebe nach dem Ende unserer Beziehung nicht infrage kam, gaben wir uns der lieblosen Liebe hin. Der Lust. Wir fingen wieder etwas miteinander an, aber mit unausgesprochenen Regeln. Ich nahm an, wir wären uns einig, dass wir eine unverbindliche Affäre hatten. Der Sex war nicht laut und wütend, wie ich erwartet hatte, sondern geradezu musikalisch, irgendwie weich, schwer zu beschreiben. Nicht perfekt, aber auf jeden Fall richtig.
Bereue ich jetzt, wo ich von ihrem Stück über mich weiß, dass ich mich wieder mit ihr einließ? Das kann ich nicht beantworten. Woher soll man wissen, wozu andere fähig sind? Woher soll man überhaupt wissen, wo man am nächsten Tag ist oder am übernächsten?
Selbst im Gefängnis weiß ich nicht, was passieren wird, denn nichts ist hier sicher. Es ist noch nichts entschieden. Und ich kann mich auf nichts verlassen, was mir im Laufe der letzten viereinhalb Monate versprochen wurde. Ich vertraue meinem Special Agent zwar und bin dankbar für unsere Gespräche, aber er kommt mir allmählich immer machtloser vor, da sich an meiner Situation nichts ändert. Je mehr wir miteinander reden, umso stärker scheint es, als würde es nirgendwo hinführen. Und die einzige Gewissheit, auf die ich mich immer mehr verlasse, ist die, dass ich morgen auch noch hier sein werde.
H erbst 2006 – The Fall of (B)oy
Von GIL JOHANNESSEN
Aus: W , März 2006, Bd. 3, Ausgabe #23
Die New York Fashion Week ist vorbei, Jungs und Mädels, und was haben wir davon mitgenommen? Die Gewissheit, dass junge, aufstrebende Designer sich endlich ihren Platz unter den Großen gesichert haben. Zumindest in New York, wo von den über 200 Designern, die ihre aktuellen Herbstkollektionen präsentiert haben, fast die Hälfte seit nicht einmal fünf Jahren im Geschäft ist. In dieser Branche (was sag ich, in diesem Lifestyle), deren Überleben so sehr von Nachwuchstalenten abhängt, war es den Jungen und Hungrigen lange Zeit fast unmöglich, einen Fuß
Weitere Kostenlose Bücher