Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
noch drei dazu. Überleg doch mal! Wenn Neiman Marcus dich will, dann steht auch bald Bergdorf Goodman vor der Tür. Wir verdienen bald una milione ! Bleib locker!«
Ein guter Rat.
Kurz davor hatte ich angefangen, gegen die Panikattacken regelmäßig eine Hand voll Xanax zu schmeißen. Ich war jetzt ein bekannter Designer, und ohne die kleinen lila Pillen hätte ich es nicht mehr durch den Tag geschafft.
Mit den Neuigkeiten von Neiman bewaffnet, versuchte ich immer und immer wieder erfolglos, Ahmed auf dem Handy zu erreichen. Anfangs war es toll gewesen, einen Partner zuhaben, der nie da war. Die Freude währte aber nicht ewig. Ein Modelabel ist nun mal ein Wirtschaftsunternehmen, das einer alleine nicht am Laufen hält, schon gar nicht ich. Ich brauchte Ahmed mehr denn je. Nicht nur wegen seiner Finanzspritzen, sondern auch, damit er mit seinem gerissenen Geschäftssinn die Sache mit der Herstellung regelte. Ich wusste aber nicht, wie ich ihn erreichen konnte, und wurde immer verzweifelter. Dann trat der Glücksfall ein: Herizon lieferte einen Stapel Telefonbücher bei uns ab. Diese Bände von biblischem Ausmaß, die jedes Jahr wieder ein paar Wochen lang das Foyer zumüllten, bis irgendwer sich schließlich erbarmte und sie im Namen aller Mieter wegwarf. Sie fielen mir an diesem Morgen auch nur deshalb auf, weil einer vom Design-und-Bau-Kollektiv eines als Türstopper benutzte, während er seinen Lieferwagen belud. Ich stellte stattdessen den Fuß vor die Tür, riss das Telefonbuch auf, und dort, kaum zu glauben, stand der Name Ahmed Qureshi direkt neben meiner alten Adresse auf der Evergreen Avenue. Angegeben war eine Festnetznummer mit 718er-Vorwahl. Wie im Film riss ich die Seite aus und warf das Buch wieder auf den Boden.
Ich rannte hoch aufs Dach der Zahnstocherfabrik und wählte dabei die Nummer. Was wollte ich da oben? Keine Ahnung. Irgendwie kam es mir wohl dramatischer vor, auf dem Dach zu telefonieren. Vielleicht glaubte ich, ein Handy, das eine alte Festnetznummer anruft, braucht den besten Empfang, den es kriegen kann.
Yuksel, Ahmeds Hausdiener, nahm ab.
»Yuksel, hier ist Boy. Wo ist Ahmed? Es ist dringend.«
»Tu mir srecklich lei, Sir. Er ist besäftigt.«
»Zu beschäftigt zum Reden, was?«
»Sehr besäftigt, Sir.«
»Zum Teufel mit dir! Gib ihn mir sofort!«
Der Idiot legte auf, als ich ausfällig wurde. Ich stellte mir vor, wie er am anderen Ende trotz seines Dauergrinsens über dem fliehenden Kinn versuchte, böse zu schauen. Als ich noch mal anrief, hörte ich einen Ton, den ich für ausgestorben gehalten hatte. Ein verdammtes Besetztzeichen! Der dämliche Troll hatte den Hörer danebengelegt. Ich hätte ihn umbringen können.
»Arrrgh!«, schrie ich in die Stadt hinaus.
Was blieb mir anderes übrig?
Ich sprang in die Bahn nach Bushwick.
Die Gegend hatte sich kein bisschen verändert. Sie war immer noch so deprimierend wie vor über drei Jahren, als ich von dort weggezogen war. Glasscherben, Kippen und Gutscheine aus dem Käseblatt lagen auf den Bürgersteigen verstreut. Eine neue Generation von Collegeabsolventen war in die Kosciuszko-Gebäude eingezogen – das konnte ich an den neuen Tags an den Hauswänden erkennen. Grypdick, Smock und ARTJOY, die Sprayer aus meiner Zeit hier, wa-ren G.W. S8tan, Viet911, FUCK BUSH und BITCHES NOT BOMBS gewichen. Alles hatte einen politischen Ton bekommen. Ein kleiner Hispano-Junge rief mir von der anderen Straßenseite zu: »Geh zurück nach China, du Schwuchtel!« Die kleine Ratte brachte mich tatsächlich aus der Fassung. War es schon so lange her, dass ich öffentlich beschimpft worden war? Ich schaute hinunter auf meine roten Jeans, meine Kunstleder-Nikes und meine Marc-Tragetasche und schämte mich.
Also reagierte ich mit einer Geste, die ich mir niemals zugetraut hätte. Ich zeigte dem Jungen den Mittelfinger. Wäre er auch nur ein bisschen älter gewesen, hätte ich mich wohl zurückgehalten. Aber so, wie er sich verhalten hatte, hatte er eine Lektion in Demut verdient.
»Ich glaub’s nicht! Ich glaub’s ja nicht!«, rief er.
Aber doch, das konnte er ruhig glauben.
Jetzt voll unter Adrenalin stapfte ich auf meine alte Haustür auf der Evergreen Avenue zu und klingelte. Bei Ahmed waren die Jalousien heruntergelassen. Ich trat einen Schritt zurück und sah zu meiner alten Wohnung im ersten Stock hoch. Die Klimaanlage, die ich damals mit Ahmed installiert hatte, klemmte noch immer im Fenster. Sie lehnte sich gefährlich schief nach
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