Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
freigelassen werde. Der Brief ist kurz, aber überzeugend. Besonders der letzte Teil ist sehr logisch: umgehend freilassen . Da ich keinerlei Verbrechen begangen habe, bleibe ich optimistisch, dass ich nach Amerika zurückgebracht werde und dort das Leben fortsetzen kann, das ich führte, bevor ich Insasse Nr. 227 wurde.
Ted erklärt, er durchlaufe gerade die nötigen Verfahren, um mich besuchen zu können, und erwarte, während er dies schreibe, die Erlaubnis des Pentagons, ins Niemandsland fliegen zu dürfen. »Bis bald«, beendet er den Brief. Die abschließende Grußformel wurde zensiert.
Ich zerbreche mir den Kopf darüber, was Ted wohl meint, welche Straftat man mir vorwerfen wird. Mitwisserschaft? Vielleicht war das mein einziges Verbrechen. Doch was wusste ich schon? Ich bin reingelegt worden, als Sündenbock missbraucht, ist das mittlerweile klar? Ich bin nur eine Spielfigur, ein Bauer. Das sind die Ersten, die dran glauben müssen. Wenn man in ein paar Jahren irgendeine nennenswerte Enzyklopädie bei »Sündenbock« aufschlägt, wird man da ein Bild von Lee Harvey Oswald mit dem Gewehr in der Hand und eins von mir sehen, Boy Hernandez, mit Querverweisen zu »Fashion Terrorist«, »Leichtgläubigster Idiot der Welt« und »Versager«. Ich habe Schande über meine Familie gebracht! Ich will mir gar nicht ausmalen, wie sie auf die Schlagzeilen reagieren werden. COUTERROR-VERSCHWÖRUNG AUFGEDECKT! BOY HERNANDEZ, FASHION TERRORIST! Sollte die Demenz meinen Vater noch nicht völlig im Griff haben (er war schwer krank, als wir das letzte Mal miteinander sprachen), kann ich nur hoffen, dass er seine Meinung über seinen einzigen Sohn nicht grundlegend geändert hat. Papa, bitte glaub mir, dass ich der Sündenbock der ganzen Sache bin; glaub weiterhin, dass ich zu einfältig bin für dieses GEHEIME Verbrechen, das sie mir anhängen wollen.
Papa, mahal mo pa ba ako ? Liebst du mich noch? Auch nach all der Schande, die ich über unseren Namen gebracht habe?
Nimm ihnen die Bezeichnung nicht ab, die sie sich für meinen Status ausgedacht haben (»interniert«). Ich sitze innerhalb von Gefängniswänden am Golf von Nirgendwo hinter Reihen von Nato-Stacheldraht. Rund um das Gefängnis ist der Boden verseucht von Minen, die von einem alten Konflikt mit den Communistas übrig geblieben sind. Selbst die Bucht soll voller Minen sein. Soweit ich weiß, kommt hier niemand rein oder raus, der nicht festgenommen wurde. Wenn ich also hier gefangen bin, muss ich auch festgenommen worden sein! Wie bin ich sonst hergekommen? Selbst Kriegsgefangene müssen festgenommen werden. Und wenn die, die mich gefangen halten, nicht zugeben wollen, dass ich festgenommen wurde, dann muss ich meinen Vorwurf gegen sie verstärken: Es war eine Entführung! Und wo ich herkomme, ist Entführung kein Kavaliersdelikt.
Klar fing es mit dem Klopfen an der Tür mitten in der Nacht an, aber eine Entführung ist eine Entführung ist eine Entführung.
Ich will die, die mich gefangen halten, nicht voreilig verurteilen – sie sind schließlich Amerikaner und verdienen eine faire Verhandlung. Sagen wir, ich wurde festgenommen, und die wichtigen Schritte, die dann normalerweise folgen (Anklage, Geschworenengericht usw.), fielen aufgrund eines Schlupflochs im System 63 versehentlich unter den Tisch. Sie werden schon ihre Gründe gehabt haben, müssen wir annehmen.
Ebenso wie ich weiterhin annehmen muss, dass meineReservierungen mit Special Agent Spyro allein zur Feststellung dessen dienen, was ich über Ahmed Qureshi alias Punjab Ami weiß, den mutmaßlichen Waffenhändler und Makler meiner Träume.
Und was weiß ich?
Ich weiß, dass der kleine Laden in Sunset Park, der unsere Stücke für die Strange-Fruit-Kollektion geschneidert hat, nie im Leben die Bestellung von Barneys hätte erfüllen können. Und dass die Herstellungskosten auf der Fashion Avenue viel zu hoch waren, um sie mit dem Vorschuss zu decken, so großzügig er auch war.
Um das Ganze noch komplizierter zu machen, erfuhr Ben im April, dass auch Neiman Marcus meine Kollektion einkaufen wollte. Während der Fashion Week hatten sie mich links liegen lassen, aber nach meinem Porträt in der W kam die Sache dermaßen ins Rollen, dass ich die Kontrolle verlor.
Ahmed war wieder mal nirgends zu finden.
»Ich schaff den ganzen Scheiß nicht alleine«, erklärte ich Ben.
»Alles klar. Dann stell eben mehr Leute ein.«
»Ich hab mir doch gerade erst eine Praktikantin geholt.«
»Dann hol dir
Weitere Kostenlose Bücher