Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
ganz natürliche Reaktion auf Gewalt, Boy. Sie haben etwas miterlebt, was schwer zu verarbeiten ist. Sie sind traumatisiert. Ich weiß, wie das ist, das können Sie mir glauben. Ich habe gesehen, wie Menschen getötet wurden. Unschuldige Menschen.«
»Ist Khush denn nicht unschuldig? Wer weiß das schon?«
»Er ist hier drin, oder? Und das aus gutem Grund. Genau wie Sie.«
»Ich bin hier, weil jemand einen Fehler gemacht hat. Einen schlimmen Fehler.«
»Sie sind hier drin, weil Sie gemeinsame Sache mit Terroristenschweinen gemacht haben. Und ich will ganz genau wissen, wann und mit wem.«
Ich stand auf.
»Setzen Sie sich. Wir machen weiter.«
»Das führt doch alles zu nichts. Wir kommen nicht voran. Mit Ihnen ist es doch immer wieder nur genau das Gleiche.«
»Hinsetzen, hab ich gesagt.«
Ich gehorchte.
»Ich schlage Sie für einen Termin beim Standortpsychiater vor. ASAP . Zufrieden?«
ASAP . So bald wie möglich. Das versprechen Sie einem hier immer.
»Und wann komme ich hier raus?«, fragte ich.
»Wenn Sie mir alles gesagt haben, was ich wissen muss.«
Ich machte weiter. Ich machte weiter, weil der Mann in der Zelle neben mir, ein Jemenit, so alt ist, dass ich ihn sterben rieche. Sterben hat nämlich einen speziellen Geruch. Weil ich weiß, dass ich womöglich so ende wie er, wenn ich mit meinem Bekenntnis nicht weitermache. Er spricht kein Wort Englisch. Er ist wohl zu alt. Irgendwann wird das Gehirn zu stur, um irgendetwas Neues zu lernen. Nebenbei bemerkt sieht er aus, als könnte er nicht mal ein Fahrrad entführen. Aber es geht mich nichts an, ob er ein Feind ist oder nicht. Ich habe mir lange den Kopf über das zerbrochen, was mein Special Agent gesagt hat: Dass jeder von uns aus gutem Grund hier ist, manche von uns aber nicht wissen dürfen, aus welchem. Mittlerweile ist es mir ziemlich egal. Ich habe die ganze Zeit die falsche Frage gestellt. Das Warum bringt mir nichts. Ich bin hier. Es gibt kein Warum. Man ist einfach nur hier. Deshalb konzentriere ich meinen Rest an Energie darauf, hier herauszukommen.
Der alte Mann wird bald sterben. Das kann ich ganz emotionslos so sagen. Er lässt es einfach geschehen. Er hat aufgegeben. Vielleicht hat er sich auch überlegt, dass die Amerikaner ihn operieren können, solange er hier drin ist, während er zu Hause längst gestorben wäre. Vielleicht denkt er: »Da draußen wartet sowieso nur noch der Tod auf mich.« Wer weiß. Wie gesagt, er spricht kein Englisch. Aber ich bin mir sicher, dass er den Lebenswillen verloren hat.
Ich muss die Zähne zusammenbeißen und mein Bekenntnis zu Ende schreiben. Vorwärts, sag ich, ich bin bereit. Ich lasse mich nicht für alle Ewigkeit als Kriegsverbrecher abstempeln, wo ich doch in Wirklichkeit Designer bin, wie ich schon tausendmal gesagt habe. Ich bin unschuldig! Das ist die einzige Konstante, die in meiner unmöglichen Gleichungimmer wieder auftaucht. Ein Unschuldiger sollte nichts zu befürchten haben. Wenn mein Special Agent wirklich die Wahrheit sucht, dann wird sie mich auch aus dieser Zelle befreien.
Es stimmt, dass ich einen Tag später von Ahmeds Festnahme erfuhr. Am 26. Mai. Ben hat mir davon beim Mittagessen im El Baño erzählt. Wir nahmen den Geheimeingang hinten in der Gasse. Damals eröffneten viele Restaurants geheime Hintereingänge für die Stammkunden. Man musste durch die Toiletten, um in den Gastraum zu kommen. Es waren gemischte Toiletten. Wir hatten uns eigentlich einen guten Tisch erhofft, doch letztendlich saßen wir so nah an der Toilette, dass jeder beim Pinkeln unser Gespräch belauschen konnte.
»Der Laden hat sein je ne sais quoi verloren.«
»Wir hätten vielleicht doch vorne reinkommen und warten sollen«, sagte Ben. »Was hat man von einem Geheimeingang, wenn man dann wie der letzte Depp behandelt wird? Der Laden ist für mich gestorben.«
»Hoffentlich ist das Carnitas immer noch gut.«
»Ich nehme die Kochbananen, Leitungswasser und einen schwarzen Kaffee«, sagte er zur Bedienung.
» Carnitas Enchilada und einen Café con Leche«, bestellte ich. »Isst du nichts Richtiges?«
»Es hat sich was ergeben.«
»Mit Neiman Marcus?«
»Nein, es ist etwas anderes passiert. Du weißt ja, dass ich alte Freunde bei der Post habe. Heute Morgen habe ich mit George Lipnicki gesprochen, der vor tausend Jahren mal für Mode und Unterhaltung zuständig war. Heute macht er alles, was mit Bedrohungen im Inneren zu tun hat. Antiterror. Wenn ein Terrorverdächtiger überwacht wird und
Weitere Kostenlose Bücher