Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
eben an; da stellt man keine Fragen. Du bist fein raus, Boy. Ich hab es dir doch gesagt: Ich bereite dich auf alle Eventualitäten vor. Nur für den Fall der Fälle. So, jetzt essen wir.«
»Ich kann nicht mehr. Ich glaub, mir wird schlecht.«
Ich entschuldigte mich und würgte über einer geheizten Klobrille von TOTO. Ich wünschte mir, alles Widerliche würde aus mir hervorspritzen und automatisch weggespült werden, während ich mir den dreckigen Mund mit dem eingebauten Bidet ausspülte. Aber ich war völlig leer. Ich legte den Kopf auf den warmen Ring und starrte in die Tiefe der Schüssel. Oval, wie ein Ei von innen. Mit dem Kopf immer noch auf der Brille kauerte ich mich in Embryostellung zusammen und griff nach den lila Tabletten in meiner rechten Jackentasche. Ich schaffte es, den Sicherheitsdeckel mit dem Daumen vom Fläschchen zu drücken, allerdings verteilte sich dabei ein Großteil des Inhalts auf dem Boden. Zwei Pillen konnte ich auffangen, warf sie mir in den Mund und zerkaute sie zu einem trockenen, grobkörnigen Pulver. Ich schluckte.
Ben hatte wohl nach mir sehen wollen, denn als Nächstes erinnere ich mich daran, wie er gegen die Kabinentür trat, die ich nicht abgeschlossen hatte. »Um Gottes willen, Junge, wie viele hast du davon geschluckt?«
»Zwei. Der Rest ist mir runtergefallen.«
»Na, Gott sei Dank. Ich dachte schon, du wolltest einfach Schluss machen. Komm, steh auf.« Er griff mir unter die Arme und half mir hoch. »Jetzt krieg dich mal wieder ein. So. Kannst du stehen?« Er gab mir ein paar freundschaftliche Ohrfeigen. »Jetzt wasch dich mal ein bisschen. Wer will denn sonst dein hübsches Gesicht küssen?«
Ich ging zum Waschbecken und spritzte mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht.
Ben reichte mir ein Handtuch. »Ich wollte dir keine Angst machen. Wird schon alles wieder. Wenn es ganz dick kommt, kenne ich einen guten Anwalt.«
»Wenn es ganz dick kommt … Wo kommt der Spruch eigentlich her?«
»Das sagt man doch nur so. Ich stelle keine Fragen, wo Sachen herkommen, Boy. Ich bin doch irisch-katholisch.«
Wir sprachen darüber, ob ich mich stellen solle, aber Ben riet mir, einfach mein Leben weiterzuleben – wenn das FBI mich brauchte, würden die sich schon bei mir melden. Und das tat ich auch. Ich lebte einfach ahnungslos weiter. Wenn meine Wahlheimat mich brauchte, würde ich Rede und Antwort stehen.
Im Koran, vor allem im Kapitel S.ād, geht es oft um den Tag des Gerichts, das unvermeidbare Ereignis, an dem wiralle getrennt werden. Die Gläubigen auf eine Seite, die Ungläubigen auf die andere, zwischen uns eine Linie im Sand. Heuchler gegen Rechtschaffene. Und jede Seite glaubt, die andere sei die der Heuchler. Wer weiß schon, welche Seite recht hat? Nur das eigene Gewissen kann einen durchs Leben leiten. Das ist zumindest meine Meinung. Wenn dein Gewissen dir sagt, du sollst anderen etwas antun, dann war’s das mit dir, dann hast du auf dieser Welt nichts zu suchen. Niemand mag Psychopathen. Die bringen doch nur noch mehr Psychopathen hervor. In meiner Version der Wahrheit kommt kein Leben nach dem Tod vor. Es gibt nur dieses eine, und wenn man das Beste daraus macht, sich selbst treu bleibt, andere mit dem gebührenden Respekt behandelt und ein-, zweimal die Woche ein paar Pennys ins Sparschwein wirft, kann man glücklich werden. Wenn man sich allzu große Sorgen macht, was danach kommt, wird man ja doch nur verrückt und schaltet sein Gewissen ab.
Gerade habe ich gelesen: Diejenigen, die das Jenseits leugnen, den Himmel und all seine Pracht, wir werden sie schwere Strafen erleiden lassen.
Hier bin ich anderer Meinung als das heilige Buch. Allerdings habe ich es nicht so intensiv studiert wie meine Mitgefangenen. Jeder von ihnen hat dem Koran sein Leben gewidmet – so wie ich meins der Mode. Dagegen sage ich ja gar nichts. Ich will mich ja auch nicht als großer Gesellschaftskritiker aufspielen. Für so etwas bekommt man schnell mal eine Fatwa ab. Diejenigen, die das Jenseits leugnen … Damit bin ich gemeint. Dem Buch nach bin ich verdammt. Ein Kafir . Ein Ungläubiger. Ein Gottloser. Naja, wie es aussieht, verbüße ich jetzt schon mit all den anderen meine Strafe. Der Jüngste Tag ist gekommen. Wie kann ich mir das Ganze erklären? Ich persönlich kann in den Worten des Korans nur wenig Sinn oder Trost finden, aber ich kann schon verstehen,warum diese traurigen Gestalten alles auf Allah gesetzt haben. Sie kommen aus dem Nirgendwo, ihre Lebenswege führen sie
Weitere Kostenlose Bücher