Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Man zählt von allein im Kopf die Sekunden mit. Also wusste ich, wann unsere zwei Minuten fast vorbei waren. Ich sah hinab auf meine Füße, und meine Augen gewöhnten sich erst langsam wieder an die Dunkelheit. Sie sahen die verzerrten Farben, die man wahrnimmt, wenn man direkt in die Sonne geschaut hat. Alles hatte einen Rotstich. Ich wunderte mich daher nicht weiter über die Farbe der Wasserlache, in der ich stand.
Eigentlich hätte mich das Ganze nicht überraschen dürfen. Wie gesagt, Khush war nicht ganz richtig im Kopf.
» Sanitäter! Sanitäter! «, rief eine Wache. Das Wasser wurde abgedreht. Langsam konnte ich wieder normal sehen. Mit zusammengekniffenen Augen stellte ich fest, dass ich tatsächlich in einer Blutlache stand. Ich drückte mich an die Gittertür und ging auf die Zehenspitzen, aber es gab keinEntrinnen. Das Blut bedeckte mittlerweile den gesamten Boden meiner Dusche. Khush hatte wohl eine Arterie getroffen, denn selbst als das Wasser abgeflossen war, kam noch immer neues Blut nach.
»Lasst mich hier raus«, rief ich, aber niemand reagierte.
Ich habe Spyro bei unserer Reservierung heute Morgen nach dem Zwischenfall gefragt. Wir treffen uns immer häufiger, seit er meine Aufzeichnungen gelesen hat.
»Es war ein Selbstmordversuch«, sagte ich.
»Davon habe ich nichts gehört. Sprechen wir lieber wieder über Ahmed und Ihre Beziehung zu Hajji.«
»Das hat Zeit«, erwiderte ich. »Ein Mann hat sich die Adern aufgeschnitten, während wir in der Dusche waren. Ich will wissen, ob er noch lebt.«
»Ist Ihnen das so wichtig? Ich soll also hier aufhören? Sie wollen uns wirklich hier aufhalten, nur damit wir herausfinden, was mit diesem Kerl passiert ist? Sie kannten ihn doch kaum. Warum dieses plötzliche Interesse? Warum machen Sie Schwierigkeiten?«
»Ich habe in seinem Blut gestanden. Ich würde gerne wissen, ob er noch lebt.«
»Dann haben Sie eben ein bisschen Blut abbekommen. Na und?«
Mein Special Agent zog einen Stift aus der Innentasche seines Jacketts.
»Name?«, fragte er.
»Khush«, antwortete ich. »Den Nachnamen weiß ich nicht.«
Er schrieb den Namen auf. »Haben Sie seine Nummer?«
»Ich weiß nur meine eigene«, erwiderte ich.
Er schnaufte. Manchmal wirkte er wie ein Stier. Er stand auf, nahm den Zettel mit, drehte sich noch einmal genervt zu mir um und verließ den Raum.
Ich weiß selbst nicht, warum ich wissen wollte, ob Khush noch lebte. Ich hatte nie ein Wort mit ihm gewechselt. Bei der Menge Blut, die er verloren hatte, wäre es ein Wunder, wenn er noch lebte. Aber was wusste ich schon? Ich brauchte einfach Klarheit, wie dieser Rasierunfall, dieser Selbstmordversuch ausgegangen war. Sonst würde er für mich immer ungewiss bleiben, so wie alles im Niemandsland.
Mein Special Agent kehrte zurück und setzte sich an den Tisch.
»Ihr Freund … Khush … Sie können aufatmen, er lebt. Er hat sich verletzt. Schwer. Das ist alles. Er liegt in kritischem Zustand auf der Krankenstation. Es heißt, bei ihm gab es Probleme im Oberstübchen. Er hatte Depressionen. War auf allen möglichen Medikamenten. Aber er lebt. Der Befehlshabende sagt, es war nicht so schlimm. Zufrieden?«
»Zufrieden? Ein Mann hat direkt neben mir versucht, sich umzubringen! Er müsste doch tot sein! Aber nein, ganz so viel Glück hatte er doch nicht!«
»Okay, jetzt beruhigen Sie sich mal wieder. Er hat sich etwas angetan. Ein Hilferuf.«
»Blödsinn.«
»Was?«
»Alles. Das ganze Lager. Dieser Raum. Alles Blödsinn. Ich hab genug.«
»Jetzt mal ganz ruhig. Genug haben Sie, wenn wir es sagen. Wir beide fangen gerade erst an. Und jetzt konzentrieren Sie sich. Ich habe Ihnen gesagt, was Sie wissen wollten. Jetzt geht es um das, was ich wissen will.«
»Und was soll das sein? Immer und immer wieder das Gleiche.«
»Hören Sie auf, mich hinzuhalten, und sagen Sie mir die Wahrheit.«
»Sie hinhalten ?«
»Genau. Ich hab nicht ewig Zeit.«
»Hier hat jemand versucht, sich umzubringen!«
»Hat er aber nicht geschafft. Er lebt doch!«
Ich hatte wohl gehofft, ich könnte mich wieder beruhigen, wenn ich wüsste, dass Khush lebt. Falsch gedacht. Nichts war wie vorher. Der Versuch allein verstörte mich, nicht Khushs jetziger Zustand. Spyro hatte recht: Es war völlig egal.
»Ich werd verrückt hier drinnen«, sagte ich und legte das Gesicht in die Hände. Ich konnte die Sitzung nicht fortsetzen. Ich wollte nur noch zurück in meine Zelle und mich unter meinem Laken zusammenrollen.
»Das ist eine
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