Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Anruf an und bedeutete mir mit einem Fingerzeig zu warten. Er sprach eine Sprache, die ich später als Urdu kennenlernte.
Ich wartete ein paar Sekunden lang auf dem Bett, bis ich verstand, dass das meine Gelegenheit war, zur Tür zu rennen. Hajji stand am Schreibtisch und fummelte mit den Hotel-Schreibutensilien herum. Ich stand auf. Gerade als ich die Klinke drückte, beendete er das Gespräch abrupt. Er wirkte plötzlich so beschäftigt, dass es ihn anscheinend kaum noch interessierte, dass ich ging. Ich sollte mich wohl verabschieden, dachte ich. Freundlich, aber schnell. »Ciao! Wir sehen uns dann nächste Woche«, rief ich.
»Ruf ich dich an wegen Anzug.«
»Sie können damit eigentlich auch zu irgendeinem Schneider gehen. Der würde das sowieso besser hinbekommen. Ich kann Ihnen einen empfehlen.«
»Nein, musst du machen.«
»Okay, na gut. No problemo.« Ich hatte es mit einem Wahnsinnigen zu tun. »Rufen Sie Montag an und lassen Sie sich einen Termin geben. Ich hab zwar viel zu tun, aber wir kriegen das schon hin.«
Ich lief davon und die Treppe hinauf zurück aufs Dach. Auf dem obersten Treppenabsatz rief ich bei Ahmed zu Hause an.
»Yuksel, hier ist Boy. Ist er zu Hause?«
»Hä?«
»Richte ihm bitte etwas von mir aus. Bist du so weit? Okay. Sag Ahmed, ich lass mich nicht gerne verfolgen. Sag ihm, dass ich gerade von seinem Freund Hajji erpresst wurde. Dem indischen Gangster mit den lila Haaren. Sag ihm, wenn ich Hajji jemals wiedersehe, ist unsere Zusammenarbeit beendet! Alles klar? Und wehe, du vergisst es! Ach ja, Yuksel, noch was.«
»Sir?«
»Lies mir das Ganze noch mal vor!«
Wir brauchten ein paar Anläufe, bis Yuksel den groben Inhalt der Nachricht zusammenhatte. Dann kehrte ich zur Party zurück.
Mein Special Agent hat mir erklärt, dass Ahmed an genau dem Abend gegen neun Uhr festgenommen worden war, als Vivienne und ich gerade das Hotel Gansevoort betraten. Seltsam, was manchmal an einem absolut beliebigen Zeitpunkt alles gleichzeitig passieren kann. Meine Gedanken hatten nicht eine Sekunde lang die Blase der Modebranche verlassen.
Nie im Leben hätte ich erwartet, dass bald eine höhere Gewalt an meiner Tür klopfen würde.
...
CAMP DELTA BLUES
...
Gestern habe ich einen Rasierunfall miterlebt. Es fällt mir schwer, die Worte für so einen brutalen Akt zu finden, also muss ich ihren Ausdruck verwenden. Ein Rasierunfall. Ein Schnitt am Handgelenk mit einer stumpfen Rasierklinge.
Khush, wie er einmal auf dem Gefängnishof gerufen wurde, war weiß Gott nie ein sympathischer Mann. Er war krank. Woher ich das weiß, wo er doch kein Wort Englisch sprach, fragen Sie. Doch können wir Krankheit nicht genauso spüren wie Sympathie? Khush kam mir vor wie ein tollwütiger Hund. Von Weitem wirkte er okay, aber aus der Nähe sah man das Blitzen in seinen Augen und den Schaum vor seinem Mund. Er war mein Ersatz, nachdem sich mein erster Duschpartner, mein Freund Riad, durch eine Luft-Diät zugrunde gerichtet hatte.
Wir standen zusammen draußen, Khush und ich, und warteten auf die Dusche. Ich sah ihn nicht an.
Die Duschen wurden frei, und unsere Nummern wurden aufgerufen.
Wir gingen vor, so schnell es unsere Fesseln erlaubten, und betraten unsere jeweilige Kabine. Khush links, ich rechts. Hinter uns schlug die Stahlgittertür zu, und die Wachen schoben die Riegel vor. Wir drehten uns um, traten einen Schritt vor und schoben die Hände durch den Schlitz in der Tür. Die Handschellen wurden uns abgenommen. Wir zogen uns aus und gaben den Wachen durch den Spalt unsere Klamotten. Wir bekamen ein kleines Stück Seife und andere Utensilien. Genau wie ich war Khush für harmlos befunden worden, also gewährten sie uns beiden einen Plastikrasierer. Einen sehr stumpfen.
Kaltes Wasser von oben. Zwei Minuten.
Wenn ich nach unten schaute, konnte ich sehen, wie die Rinnsale unserer beiden Duschen sich trafen und in den Abfluss zwischen uns rannen. Ich sah auch die Füße meines Duschpartners. Das Wasser staute sich etwas am Abfluss. Diesmal konnte ich nicht den Willen aufbringen, mich einzuseifen oder mir auch nur die Haare zu waschen. Stattdessen öffnete ich wie ein Kind die Augen und ließ mich von der Sonne über mir blenden. Ich weiß noch, dass ich früher in der Außendusche am Strandhaus meiner Eltern in Samar dasselbe getan hatte. Damals spülte mir ein schwaches Geriesel das Salz von meinem kleinen Körper und den Sand aus den Haaren.
Im Gefängnis lernt man, auch ohne Uhr klarzukommen.
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