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Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Gilvarry
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nur weiter durchs Nichts, und dabei machen sie eine Menge Scheiße durch, also sagen sie sich: So schlimm kann es doch nicht immer bleiben. Schon rein logisch kann es nur bergauf gehen, denn Allah ist groß. Ihr heiliges Buch bestätigt diese Leute darin, dass sie zu einer ganz besonderen Gruppe gehören, so wie mir meine Septemberausgabe erklärt, dass Strickpullis in sind. Die haben ihr Leben nach dem Tod und ich habe mein New York. Ich bin schon im ersten Anlauf in den Himmel gekommen, während die armen Kerle noch warten.

...
    WAS DEN DÜNGER ANGEHT
    ...
    Ich war nie der depressive Typ. Diese Veranlagung meines Vaters habe ich nicht geerbt. Ich war immer schon überzeugt, mit allem fertig werden zu können, was sich im Großen und Ganzen auch bewährt hat. Sie sehen ja, wie weit ich es gebracht habe. Ich kleiner Pinoy von der Marlboro Street ganz groß in New York. Und wo bin ich jetzt? Am Ende der Welt, am Abgrund des Arschlochs von Amerika – aber reingefallen bin ich noch nicht.
    Heute Morgen habe ich, wie von Spyro versprochen, Besuch von der Standortpsychiaterin bekommen. Sie war blond und trug ihr Haar zu einem Knoten hochgesteckt. Kein Make-up. Ihr Akzent kam mir bekannt vor, nördliche Ostküste. Massachusetts oder Rhode Island. Wir unterhielten uns durch das Drahtgitter in meiner Zellentür. Zu jeder meiner Antworten machte sie sich Notizen auf ihrem Klemmbrett.
    »Können Sie mir sagen, wer Sie sind?«
    »Zwo-zwo-sieben.«
    »Ihren Namen meine ich. Wie heißen Sie?«
    »Boy.«
    »Und der vollständige Name?«
    »Boyet Hernandez.«
    »Wie lautet der Mädchenname Ihrer Mutter?«
    »Reyes.«
    »Und der Mädchenname von deren Mutter?«
    »Araneta.«
    »Was machen Sie, Boy?«
    »Was soll das heißen, was ich mache? Ich bin hier gefangen. Ich mache gar nichts.«
    »Sie sind kein Gefangener. Sie sind nur auf unbestimmte Zeit interniert, bis wir mit Sicherheit wissen, ob Sie ein Feind oder ein Nicht-Feind sind. Sie sollten die Zeit hier nicht als das Ende betrachten, sondern vielmehr als Station am Anfang einer langen Reise.«
    »So ein Quatsch!«
    »Darf ich Ihnen noch ein paar Fragen stellen? Ja?«
    »Wenn’s sein muss.«
    »Essen Sie?«
    »Wenn man den Fraß hier so nennen kann.«
    »Schlafen Sie?«
    »Nicht so gut.«
    »Ja oder nein?«
    »Hier kriegt man doch sowieso nur ab und zu mal eine Stunde die Augen zu. Hier im Block macht doch immer irgendwer Lärm.«
    Sie setzte den Stift ab. »Dieser Lärm – was genau hören Sie denn?«
    »Wollen Sie jetzt wissen, ob ich Stimmen höre wie irgend so ein Durchgeknallter? Den Lärm gibt es wirklich, das können Sie mir glauben. Fragen Sie doch die anderen. Die ganze Nacht durch ist irgendetwas zu hören. Mal die Wachen, mal wird wer aus der Zelle geholt. Und dann noch die Bomben, die nachts gezündet werden.«
    »Bomben.«
    »Ja, Bomben. Explosionen.«
    »Haben Sie Albträume, Boy?«
    »Wenn ich schlafen kann, ja.«
    »Fühlen Sie sich verzweifelt?«
    Ich fing an zu lachen. Es war ein nervöses Lachen, das in Tränen enden würde. Nach ein paar Atemzügen konnte ich sie nicht mehr unterdrücken und fing an zu schluchzen. Ich wandte mich von der Psychiaterin ab. Sie stellte einfach weiter ihre Fragen, obwohl doch offensichtlich war, dass ich nichts sagen konnte. Als keine Antwort kam, ging sie nach einem Augenblick zur nächsten Frage über. Sie hatte es eilig! Offensichtlich las sie das Ganze ab. Nach der Sache mit Khush fragte sie gar nicht.
    »Haben Sie vor, irgendjemanden oder sich selbst zu verletzen?«
    Was soll man darauf schon antworten, wenn man hier drin sitzt? Ja, wenn ich könnte, würde ich dich und deine ganze Familie gerne umbringen. Und dann am allerliebsten mich selbst, wenn ich immer noch hier sitze.
    Die junge Frau aus Rhode Island oder von wo auch immer erklärte mir die Vorzüge der Bildtherapie. »Stellen Sie sich bildlich Ihren glücklichsten Moment vor«, sagte sie. »Schließen Sie die Augen und atmen Sie tief durch. Durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus. Ein. Aus. Sehen Sie sich eine Weile in diesem glücklichen Moment um. Wer ist bei Ihnen? Warum? Warum sind Sie so glücklich? Was macht diesen Augenblick so besonders, dass Sie dorthin zurückkehren möchten?«
    Ich schloss die Augen und stellte mir mein weißes Zelt im Bryant Park vor. Den Laufsteg, die Kollektionen, meinen Bildungsroman. Backstage. Olya, Dasha, Kasha, Vajda. Tangas, Hintern, Haar, Make-up. Ach, aber es half nichts! Was geschah mit meinem weißen Zelt

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