Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bekentnisse eines möblierten Herren

Bekentnisse eines möblierten Herren

Titel: Bekentnisse eines möblierten Herren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
Vom Netzwerk:
über die schmale Tante hinaus, sah, wie die alte Magd sich plagte, den schweren Koffer aufzuheben. »Lassen Sie, ich nehme ihn...«, rief er.
    Da drehte sich die Gräfin um. Mit steinernen Zügen, noch strenger als der Kopf auf der Kamee, die sie auf ihrem Stehbündchen am Halse trug.
    »Ich weiß, Sie meinen es gut, aber ein bißchen Distance wollen wir doch noch halten.«
    Die Nichte kam, umarmte die Tante, ein ganzes Register von Grußaufträgen entgegennehmend, wie zu Zeiten der Postkutsche. Lukas gemahnte abermals zum Aufbruch und küßte Tante Gräfin andeutungsweise die Hand. »Vielleicht erwischen Sie noch einen Fensterplatz!« rief ihnen die alte Dame nach, auf den blanken Messingknopf der Tür gestützt.

    »Wenn du den Bahnhof suchst, weiß ich einen kürzeren Weg«, sagte Marie-Luise im Auto.
    »Und ich weiß einen noch kürzeren — allerdings zu einem anderen Bahnhof.«
    »Das verstehe ich nicht!«
    »Ich habe mich erkundigt. Du mußt zweimal umsteigen, das letzte Mal um siebzehn Uhr siebenundzwanzig in Wengenheim. Von dort hast du noch zwanzig Minuten bis nach Hause. Damit du aber nicht den ganzen Tag allein in der Bahn sitzt und ich hier, bringe ich dich direkt nach Wengenheim. Einverstanden?«
    Sie fiel ihm um den Hals.
    »Ich bin froh, daß es dich gibt.«
    Als die Stadt hinter ihnen lag, hielt Lukas an einem Wäldchen.
    »Deine werte Tante in Ehren, aber jetzt zieh’ ich erst mal den dicken Flanellanzug aus.«
    Er verschwand im Unterholz.
    »Ich hab’ mir’s inzwischen auch bequem gemacht«, verkündete Marie-Luise, als er zurückkam, und präsentierte sich in Shorts und ärmelloser Bluse.
    »Wenn man sich vorstellt, daß es Menschen gibt, die bei diesem Wetter im geschlossenen Wagen auch noch den Hut aufbehalten«, sagte er in Erinnerung an Ingrids Vater.
    »Das ist eine Weltanschauung«, bemerkte sie zu seiner Freude.
    Zwei Stunden später lagen sie an einem Bach im Gras. Marie-Luise trug jetzt einen himmelblauen Badeanzug, der außer Jugend nichts verriet.
    »Wenn uns Tante Josefine hier sehen würde... ich glaube, sie hätte was dagegen.«
    »Darauf können wir jetzt keine Rücksicht nehmen«, antwortete er und schob seinen Arm unter ihren Nacken.
    Eine Weile lagen sie still. Lukas drehte sich zur Seite und betrachtete sie. War sie schön? Oder nur jung? Die langen Schenkel, die schmalen Hüften, der zierliche Hals... Fand er den Umstand, daß eigentlich nichts Aufregendes an ihr war, so aufregend? Oder war es ihre kindliche Zurückhaltung, die ihn fesselte? Zum erstenmal rangen väterliche Gefühle mit denen des Liebhabers in seiner Brust.

    Sie richtete sich auf.
    »Was denkst du?«
    »Ich denke, daß ich fast noch dein Vater sein könnte.«
    »Du als Vater? Toll! Ich wäre sterblich in dich verliebt.«
    »Und dein Vater?«
    »Der ist tot, schon seit acht Jahren.«
    Sie legte sich wieder auf seinen Arm. Der Arm schlief ein und Lukas auch. Durch eine Irritierung seines Nervensystems wurde er geweckt. Marie-Luise kitzelte ihn mit einem Grashalm an der Nase.
    »Mach doch bitte das Autoradio an!«
    »Nein!«
    »Aber jetzt kommt die »Stunde der Jazzfreunded«
    »Jazzmusik in der Sonne? Unerträglich!«
    »Finde ich nicht!«
    »Du wirst auch noch dahinterkommen!«
    Er zog sie zu sich herunter und legte seinen Kopf auf ihre Schulter. Für einen Augenblick hielt sie still. Die Luft flimmerte, die Grillen zirpten. Es war schön.
    Sie sprang auf.
    »Komm, wir gehen ins Wasser!«
    Lukas folgte ihr gemessen.
    »Du, das Wasser ist himmlisch! Ganz klar. Nicht so ‘ne verölte Motorbootpleure.«
    Diese Feststellung gefiel ihm wieder. Unter Wasser nahm er sie auf eine Atemlänge in den Arm.
    Nachher fiel es ihm nicht ganz leicht, die Zeitknappheit mit verantwortungsbewußter Fahrweise in Einklang zu bringen. In letzter Minute erreichten sie den Zug.
    «Wir haben ja gar nicht zu Mittag gegessen«, stellte er fest.
    »Wozu auch! Schreib mir bitte bald.«
    Und unter dem Druck der bahnamtlichen Pünktlichkeit gab er ihr einen herzhaften Kuß.

    Das Haus, in einem englisch-bayerisch-italienischen Stilgemisch erbaut, lag abseits der lärmenden Hauptstraße, hinter alten Bäumen versteckt, auf einem Hügel, der weich zum Seeufer hinunterschwang. Lukas fuhr durch das offene Tor direkt in eine der drei Garagen. Er nahm seine Reisetasche und lief um den fremden Prunk herum.
    »Nanu, du kommst allein?« empfingen ihn Ines, Daniela und Sylvia auf der Terrasse. Mit Shorts, geknoteten Blusen und Frotteehemden

Weitere Kostenlose Bücher