Bekentnisse eines möblierten Herren
ihn.
»Diese Luft«, sagte sie nach einer Weile, »ich kann einfach noch nicht ins Bett.«
Lukas ging zu der Schubkarrenliege hinüber.
»Warum schlafen wir nicht hier draußen?«
Sie zögerte keinen Augenblick und kehrte alsbald mit Kissen und Decken zurück. Die Liege war schmal, er nahm sie in den Arm. Und die Nacht, der Whisky und die Wärme ihres weichen Körpers lösten sein Schuldgefühl. Sei es, weil die drei Frauen prompt von ihren Vorzügen in geradezu frevlerischer Weise Gebrauch machten oder weil die Männer die traurige Komik ihrer Rolle endlich erkannt hatten — die Metamorphose war vollzogen und Gracia wieder schlicht Fräulein Kuchenmüller. Der Ehrgeiz zur Gemeinsamkeit wich individueller Faulenzerei, die Ferien begannen.
Ines und Peter segelten viel; Daniela hatte ihren Spaß daran, die beiden Wolfgänge einen ganzen Tag lang nach ihrem eigenhändig versenkten Armband tauchen zu lassen; Pauli bemühte sich unaufhörlich, das Motorboot des Plastikmillionärs in Gang zu bringen; der Rebell und seine Geliebte bevorzugten das muskelstärkende Ruderboot, und wenn sich jemand langweilte, so war dies Fräulein Kuchenmüller.
An sich ruderte Lukas gern. Die Wellen der ständig kreuzenden Motorboote jedoch sowie eine gewisse Strömung im See, die das Schiffchen immer wieder auf den lärmenden Fleischmarkt des Campingplatzes zutrieb, verhalfen ihm, einen herrlichen Platz im Schilf ausfindig zu machen.
Sylvia besaß das seltene Talent, Kleinigkeiten bei sparsamstem Gefühlsverbrauch in vollendeten Genuß umzusetzen, und erwies sich somit als sommerlich-praktisch in der Handhabung. Sie sagte nichts, sie fragte nichts — nicht einmal, als sie Lukas eines Tages einen Brief von Marie-Luise übergab — und schien doch immer zu ahnen, wonach sein Sinn gerade stand.
Nach den individuellen Freuden des Tages fand man sich beim Abendessen in altgewohnter Harmonie. Fräulein Kuchenmüller, der Ines mit Erfolg die Rolle der Gastgeberin suggerierte, schlingerte mit dem mondän-dienen-den Sex einer Stewardeß durch Küche und Ziergarten, und es schien fast, als fühle sie sich glücklich dabei, auf so ehrenvolle Weise von den Gesprächen befreit zu sein. Das Schlafen auf der Terrasse machte Schule, was allerlei gemeinschaftsbildende Hänseleien nach sich zog. Die Dunkelheit und die horizontale Lage bewirkten eine Atmosphäre, die weder Schlaf noch Ernst aufkommen ließ. Unter Danielas ansteckendem Lachen wurde jede Bemerkung veralbert, und es dauerte oft Stunden, bis endlich Ruhe eintrat. Durchlachte Nächte und verschlafene Tage — ein vollkommenes Sommeridyll.
Sylvia schlief jenseits ihres Busens in dem schmalen Kahn. Lukas hatte den Kopf in ihren Schoß gebettet, die Beine über die Bordwand gehängt und blätterte kontemplativ dösend in seinem Tagebuch.
29. April: Ich bin frei! Kündigung durch Laster-Attrappe. Erster komplikationsloser Kameradschaftsschlaf. Ich glaube, für sich selbst ist der Mann gar nicht so polygam, wie er für die anderen immer erscheinen möchte. Hängt wohl auch mit dem Alter zusammen. Schon? — Sylvia ist ein lieber Kerl; sie tut mir leid.
3. Mai: Umzug nach drei Nächten auf Huberts zu kurzer Couch. Ihm fehlt die Frau. — Wunderschönes Zimmer bei reizenden alten Damen. Sonnenseite. Donicke hat mir einen Auftrag weggeschnappt. Große Berufsflaute. »Solange du nicht dran bist, kannst du genial sein und fällst nicht auf«, sagt Hubert. Ob er an Astrologie glaubt? Er selbst ist ja immer noch nicht dran. — Auch kein Trost.
Lukas drehte die Seite um und las weiter, in der Hoffnung, schon jetzt aus den spärlichen Eintragungen Aufschlüsse über sich selbst zu bekommen. Zweifellos waren solche bereits vorhanden, doch sah er sie noch nicht.
30. Mai: Junge Dame in Gelb. Sie ist es! Und ich weiß genau, ich werde sie wiedersehen! Dich! Du!
Er zog die Brauen hoch. Das klingt aber sehr nach Mädchentagebuch, sagte er zu sich selbst. Warum diese vielen Ausrufezeichen? Liebe verdirbt den Stil. Gefühlsausbrüche sind nicht zum Lesen da. Deswegen bin ich auch von den gesammelten Liebesbriefen bedeutender Männer immer so peinlich berührt.
3. Juni: Heute ist sie gekommen! Prinzessin Marie-Luise von Reiffenstein! — Imponiert mir das etwa?
6. Juni: Im Atelier: Sie zeichnet sehr artig. Alles comme il faut. — In ihren Ansichten rührende Mischung aus belesener Klarheit und behüteter Jugend.
9. Juni: Mit Marie-Luise im Konzert. Händel. Ich war sehr behutsam. Sie hat
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