Bel Ami
den Kuss und ich eine weitere Einnahmequelle.
Meine geschäftstüchtige Freundin brachte das Essen ins Bel Ami . Kleine, selbst gebackene Torten, wenn ein Mädchen Geburtstag hatte, liebevoll gestaltete Buffets zu Weihnachten und außerdem – ihren Vater. Jürgen, mein alter Schulfreund, war jetzt nicht nur mein Schwiegervater in spe, sondern auch mein Mitarbeiter. Gemeinsam bauten wir das Bel Ami weiter aus: drei zusätzliche Zimmer, einen größeren Poolbereich, eine neue Bar, Tapeten aus Samt, Whirlpools in jedem Zimmer. Erstaunt stellte ich fest, dass Frauen durchaus in mehr als nur einer Sache ein geschicktes Händchen haben können und Familie tatsächlich von Nutzen war.
Im Dezember 1990 organisierte Simone für alle Mädchen und ein paar ausgewählte Stammgäste eine Weihnachtsfeier im Bel Ami . Sie verbrachte Tage damit, ein überdimensionales Lebkuchenhaus zu backen, vor dem der Marzipanhänsel die Zuckergussgretel innig küsste und dabei von einem alten Schokolüstling durchs Fernglas beobachtete wurde. Das Schwimmbad wurde abgedeckt und zur Tanzfläche umfunktioniert, um die herum zehn Stehtische mit bodenlangen weißen Damastdecken standen. Zusammen mit ihrem Vater schmückte sie die drei Meter hohe Tanne, organisierte eine Opernsängerin, stellte Hunderte von Kerzen auf und mich vor vollendete Tatsachen.
»Und, wie gefällt es dir?«
Ja, ich war begeistert.
»Wo soll ich die Geschenke hinstellen?«
»Erst einmal dort drüben. Den Rest mache ich schon!«, erklärte mir Simone.
Seit Jahren bekam jedes meiner Mädchen zu Weihnachten ein Geschenk im Wert von 500 Mark. Wir erwarteten 50 Gäste, und sie kamen alle, in langen Abendkleidern, Pelzen und Smokings. Während Simone alle willkommen hieß, betrachtete ich sie bewundernd. Sie trug ein bodenlanges, rotes, rückenfreies Kleid und hatte im letzten Jahr bestimmt zehn Kilo abgenommen. Sie sah wunderschön aus. Ich hatte das Gefühl, eine Familie zu haben, obwohl ich noch immer kein Kind von ihr hatte. Wir wollten es beide, und an mir oder mangelnden Bemühungen konnte es nicht liegen.
Die Sopranistin hatte gerade das Ave Maria beendet, als es laut klopfte. Seit Stunden wartete eine Menschentraube vor den Türen des Bel Ami , um vielleicht doch noch eingelassen zu werden. Das Tor sollte für diesen Abend aber geschlossen bleiben, und ich fragte mich, ob jetzt tatsächlich die ersten Neugierigen über den Zaun geklettert waren. Nico öffnete die Tür.
»Es ist der Weihnachtsmann!«, rief er mit einer Stimme, als hätte er Der Mann aus dem Mond gesagt.
Natürlich! Ich grinste innerlich, erwartete einen Striptease und gratulierte Simone zu ihrem Einfall. Aber nein, der Weihnachtsmann schleppte nur einen riesigen Sack heran und ließ den Mantel an. Umständlich kramte er im Sack. Rosa Geschenkpapier, weißes Seidenschleifchen, silberne Namenskärtchen, kleine, rote Schokoladenweihnachtsmänner. Simone hatte jedes einzelne Geschenk liebevoll verpackt, wie für die Kinder, die sie nicht hatte.
»Oh, für Alicia! Wer ist denn Alicia?«
Die Polin hob schüchtern ihren Arm.
»Na, dann komm doch mal nach vorn! Kannst du denn auch ein Gedicht aufsagen oder ein Lied singen?«, brummte der Weihnachtsmann in seinen weißen Bart.
Spätestens jetzt, dachte ich, musste doch jemand lachen oder feixen. Aber ich irrte mich. Die geschäftstüchtige Blondine schien ernsthaft zu überlegen und begann dann mit zitternder Stimme ein polnisches Weihnachtslied zu singen. Ganz ernsthaft und andächtig lauschten alle der europaweit bekannten Edelhure, die sich in eine 8-Jährige verwandelt zu haben schien. Am Ende umarmte Alicia den Weihnachtsmann so lange, dass es mir fast peinlich wurde. Na ja, sie weinte.
Hatte Simone es doch tatsächlich geschafft, in meinem Bordell eine Atmosphäre zu schaffen, die mich an alte Weihnachtskalendermotive erinnerte. Glänzende Augen, rote Wangen, Äpfel, Nüsse und Korinthen. Zum ersten Mal störten mich die Tränen, die an diesem Abend flossen, nicht. Allerdings ärgerte es mich ein bisschen, dass Jürgen-Weihnachtsmann der Held des Abends war und den Dank für die Geschenke einheimste, die ICH bezahlt hatte.
Sushi für Fortgeschrittene
Die Sache mit dem Essen ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Irgendwo las ich: Essen und Beischlaf sind die beiden großen Begierden des Mannes . Warum sollte ich die beiden Dinge also nicht miteinander verbinden? Im Zuge der Globalisierung begann sich in Deutschland Mitte der 90er Jahre ein
Weitere Kostenlose Bücher