Belgarath der Zauberer
einen gespannten Bogen in der Hand, und der Pfeil war direkt auf
mein Herz gerichtet »Du solltest lieber stehenbleiben«, riet sie mir.
Das tat ich – augenblicklich.
Als sie sicher war, daß ich nicht davonlaufen würde, wurde sie sehr freundlich. Sie sagte, sie hieße Xana, und daß sie gewisse Pläne mit mir hätte. Sie entschuldigte sich sogar für den Bogen. Sie erklärte mir, daß Reisende im Wald selten seien und daß eine Dryade, die solche gewissen Dinge‹ vorhätte, einige Vorkehrungen treffen müsse, um etwaigen Fluchtversuchen vorzubeugen.
Ich versuchte ihr klarzumachen, daß ihr Vorschlag höchst unziemlich war, doch sie schien mich nicht verstehen zu wollen. Sie war ein sehr entschlossenes kleines Wesen.
Ich glaube, ich werde es hierbei belassen. Was danach geschah, ist für die Geschichte nicht von Bedeutung, und es wäre sinnlos, absichtlich anstößig zu werden.
Es ist Brauch bei den Dryaden, alles mit den Schwestern zu teilen; also stellte Xana mich den anderen Dryaden vor. Sie verwöhnten mich; aber das änderte nichts an der Tatsache, daß ich ein Gefangener war – ein Sklave, wenn man es genau nahm –, und meine Situation war mehr als nur ein wenig erniedrigend. Ich lächelte viel, tat, was man von mir verlangte, und wartete auf eine Gelegenheit, mich davonzumachen. Als ich einen Augenblick allein war, schlüpfte ich in meine Wolfsgestalt und sprang in den Wald. Sie suchten natürlich nach mir, doch sie wußten nicht, wonach sie suchten; deshalb fiel es mir nicht schwer, ihnen aus dem Weg zu gehen.
Ich erreichte das Nordufer des Waldflusses, schwamm zur anderen Seite und schüttelte mir das Wasser aus dem Fell. Das solltet ihr euch merken: Wenn ihr die Gestalt eines Tieres mit Fell annehmt und dabei naß werdet, ehe ihr euch zurückverwandelt, schüttelt euch immer das Wasser aus dem Fell! Anderenfalls habt ihr tropfhasse Kleider an, wenn ihr eure eigene Gestalt annehmt.
Nun war ich in Nyissa und mußte mir um die Dryaden keine Sorgen mehr machen. Statt dessen hielt ich jetzt Ausschau nach Schlangen. Die meisten Völker bemühen sich, die Schlangenpopulation unter Kontrolle zu halten, aber da die Schlange Teil der nyissanischen Religion ist, läßt man sie hier in Ruhe. In den Dschungeln Nyissas wimmelt es geradezu von gleitenden Reptilien – und sie sind allesamt giftig. An meinem ersten Tag in diesem stinkenden Sumpf wurde ich dreimal gebissen, und das ließ mich sehr vorsichtig werden. Es bereitete mir glücklicherweise kein Problem, das Gift unwirksam zu machen; trotzdem ist es äußerst unangenehm, nähere Bekanntschaft mit einer Schlange zu schließen.
Der Krieg mit den Maragern hatte eine bedeutende Veränderung der nyissanischen Gesellschaft zur Folge. Vor der maragischen Invasion hatten die Nyissaner große Lichtungen im Dschungel geschaffen, dort Städte gebaut und Straßen, die diese Städte miteinander verbanden. Straßen jedoch ermöglichen Invasoren ein leichtes Vorankommen, und Städte signalisieren stets eine Ansammlung vieler Leute und wertvollen Eigentums. Ebensogut kann man die Angreifer einladen. Salmissra erkannte das, und sie befahl ihren Leuten, sich zu verteilen und dem Dschungel zu erlauben, Straßen und Städte wieder zu überwuchern. Nur die Hauptstadt in Sthiss Tor blieb übrig, und da ich es mir sozusagen zur Aufgabe gemacht hatte, die westlichen Königreiche zu besuchen, beschloß ich, bei der Schlangenkönigin vorbeizuschauen.
Die maragische Invasion lag nun fast hundert Jahre zurück, aber noch immer gab es zahlreiche Anzeichen für die Verwüstung, die sie angerichtet hatte. Die verlassenen Städte, die nun unter Buschwerk und Lianen erstickten, wiesen noch immer Spuren auf, wie sie durch Feuer und Belagerungsgeräte verursacht werden. Nun meiden selbst die Nyissaner ängstlich diese wenig einladenden Ruinen. Wenn man es genau betrachtet, ist Nyissa eine Theokratie. Salmissra ist nicht nur Königin, sondern auch die Hohepriesterin des Schlangengottes. Wenn sie einen Befehl erteilt, gehorchen ihre Leute, ohne zu zögern, und sie befahl ihnen, in den Busch zu gehen und mit den Schlangen zu leben.
Als ich Sthiss Tor erreichte, taten mir die Füße weh, und ich war hungrig. In Nyissa muß man sich wohl überlegen, was man ißt. Nahezu jede Pflanze – sowie ein Großteil der Vögel und Tiere – sind entweder narkotisierend oder giftig oder sogar beides.
Ich fand den Landeplatz für die Fähre, die den Schlangenfluß zur prunkvollen Stadt in Sthiss
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