Bell ist der Nächste
Klopfen schwang die Wohnungstür auf. Sie hatte wieder ihre Ohrstöpsel im Ohr, wie beim letzten Mal, und trug ein Trägerhemdchen und Shorts, als hätte sie gerade Sport gemacht. In seinem Anzug erkannte sie ihn zunächst gar nicht, aber dann weiteten sich ihre Augen.
Überraschung, dachte er, keine Angst. Trotzdem schloss sie die Tür wieder. Nicht panisch allerdings, er hätte sie aufhalten können. Er wartete auf das Geräusch der Verriegelung, rief ihren Namen.
Das Klicken der Türkette, die einrastete, und dann öffnete sich die Tür wieder, nur ein paar Zentimeter.
»Mira«, sagte er.
»Anthony.« Sie hielt die Ohrstöpsel ihres iPods in den Fingern.
»Was hast du gerade gehört?«, fragte er.
Sie runzelte die Stirn. »Anthony, die Polizei sucht nach dir.«
»Ich weiß.«
»Sie sagen –«
»Ich weiß, was sie sagen. Hast du ein Auto?«
Zwischen ihren Augenbrauen hatte sich eine tiefe Sorgenfalte gebildet.
»Ich kann dir nicht helfen zu fliehen«, sagte sie, »wenn es das ist.«
»Egal«, sagte er, »ein Flugzeug wäre ohnehin besser.«
»Ein Flugzeug?«
»Hast du schon mal die Redwood-Bäume gesehen?«
»Anthony, du hörst dich –«
»Verrückt an, ich weiß.« Er hob die Hände in einer Geste der Kapitulation. »Die Geschichte meines Lebens. Wenn du nach Eureka, Kalifornien, fliegst und dort einen Wagen mietest, kannst du nach Norden zum Prairie Creek State Park fahren. Dort gibt es Redwood-Bäume. Du musst sie mal gesehen haben. Ich bin mit einem Mädchen dort gewesen, das ich mal gekannt habe. Ich war nie weiter weg von Zuhause.«
Er sah, wie sie versuchte, schlau aus ihm zu werden. Ihre Augen waren von einem tieferen Braun als ihre Hautfarbe. Er glaubte, kleine goldene Einsprengsel darin zu sehen, wie die glänzende Kette, die sich über den Türspalt spannte.
»Anthony, ich kann dir helfen«, sagte sie. »Wir können einen Anwalt suchen.«
Er kam etwas näher. »Ich weiß nicht, ob es möglich ist, einen Neuanfang zu machen«, sagte er, beinahe flüsternd. »Lange Zeit habe ich das nicht geglaubt. Aber wenn es möglich ist, dann dort im Prairie Creek State Park. Denk daran. Ich werde nicht fliegen können, also wird es ein paar Tage dauern. Ich werde dort nach dir Ausschau halten.«
»Anthony –«
»Du solltest sie sehen, die Redwoods. Wir haben versucht, Fotos zu machen, aber sie sind so groß, dass sie nicht auf ein Bild passen.« Er atmete hörbar aus. »Ich weiß, wie ich mich anhöre, und ich weiß, was du über mich denken musst. Ich habe drei Menschen getötet. Ich wünschte, ich könnte dir sagen, dass das nicht wahr ist. Ich habe einen Mann namens Derek Everly getötet, weil er jemanden auf dem Gewissen hat, den ich sehr geliebt habe. Den Mord bereue ich nicht. Die anderen – ich bin mir nicht mehr so sicher.«
Er sah, wie sie die Tür schloss, hörte, wie sich die Kette löste, sah, wie sich die Tür wieder öffnete.
»Anthony«, sagte sie sanft, »du brauchst Hilfe.«
Er schloss die Augen. »Ich bin mit all dem durch. Ich möchte einen Neuanfang. Prairie Creek. Aber ich verstehe auch, wenn du nicht kommst.«
»Ich kann nicht –«
»Überleg es dir.« Er öffnete die Augen und trat einen Schritt zurück. »Du solltest die Tür schließen. Du willst doch nicht, dass dein Kater wieder abhaut.«
Sie sah in die Wohnung. »Er versteckt sich unter dem Sessel.«
»Man kann nicht vorsichtig genug sein«, sagte Lark. »Und ich kann nicht bleiben. Also schließ die Tür.«
»Ich werde Ihnen sagen, worauf ich mich freue«, sagte Sutton Bell. »Auf den Tag, an dem ich die Vorhänge wieder aufziehen kann.«
Wir saßen an einem Tisch aus Ahornholz in seinem Esszimmer. Die Polizei war immer noch draußen und hielt Wache, für den Fall, dass Lark wiederkommen sollte. Bell hatte sich einverstanden erklärt, mich zu empfangen, als ich ihm hatte ausrichten lassen, dass ich über Lucy Navarro sprechen wolle.
Das einzige Licht im Zimmer kam von einer Deckenlampe. Schwere Vorhänge waren vor den Fenstern zugezogen.
»Sie müssen mich für blöd halten, dass ich hiergeblieben bin«, sagte Bell. Er hatte seinen Stuhl so gedreht, dass er mir gegenübersaß. Sein linker Arm lag auf dem Tisch, die Hand in einem Stützverband.
Bevor ich noch antworten konnte, fuhr er fort. »Ich bin’s wahrscheinlich auch. Ich habe meine Frau davon überzeugt, sich eine Weile freizunehmen. Sie wohnt bei einer Freundin außerhalb Michigans. Unsere Tochter hat sie mitgenommen.«
»Sie hätten doch
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