Bell ist der Nächste
der Bank, legte einen Arm auf die Rückenlehne und zielte mit dem Gewehr. Aus den Augenwinkeln sah er, wie die Mutter ihren Jungen von der Schaukel zog und wegschob.
Lark, der durch den Sucher blickte, sah, wie einer der Polizisten die Tarnjacke auf den Boden warf, sah den knallroten Fleck an der Schulter des Veteranen.
Sutton Bell presste ein weißes Handtuch auf die Wunde.
Lark bewegte das Fadenkreuz auf Bells Hals, sein Gesicht im Profil. Er richtete es auf eine Stelle direkt hinter Bells Ohr.
Das Fadenkreuz schwankte. Das Brummen des Rasenmähers war laut, aber es störte Lark nicht. Er holte Luft. Legte seinen Finger an den Abzug. Das Fadenkreuz hielt still.
Seine Sicht war ganz klar. Seine Stirn fühlte sich kühl an. Nichts zuckte hinter seinen Augen.
Die Kopfschmerzen sind ein Symptom.
Er hatte keine Kopfschmerzen. Er hatte welche im Anmarsch gespürt, er hatte eine Tablette genommen, und sie waren verschwunden. Die Tablette wirkte.
Der Lärm des Rasenmähers schwand aus seiner Wahrnehmung. Das Fadenkreuz bewegte sich über Sutton Bells Wange.
Die Kopfschmerzen sind ein Symptom. Sie werden sie so lange haben, bis Sie sich mit dem zugrunde liegenden Problem beschäftigen.
Lark hatte keine Kopfschmerzen. Jetzt nicht.
Weil die Tabletten wirkten.
Das Fadenkreuz bewegte sich ins Leere.
Jetzt oder nie, dachte Lark.
Er bewegte es wieder zu der Stelle hinter Bells Ohr.
Tu es jetzt, oder die Gelegenheit ist vertan.
Sein Finger krümmte sich um den Abzug.
Die Tabletten –
»Hast du gehört, was ich über die Tabletten gesagt habe?«
Am Samstagnachmittag fuhren Elizabeth und Shan durch eine Straße voller Schlaglöcher. Nichtssagende Backsteinhäuser prägten das Viertel. Die beiden waren noch einmal nach Dearborn gefahren, um Helen Larks Liste der Freunde ihres Sohns abzuarbeiten.
Sie hatten bereits mit einem halben Dutzend Männer gesprochen. Alle waren um die dreißig, hatten schlechte Jobs und keinen Ehrgeiz und lebten in heruntergekommenen Wohnungen. Keiner von ihnen schien Anthony Lark besonders nahegestanden zu haben. Sie kamen Elizabeth nicht gerade wie Freunde vor, die einen aufnahmen, wenn man auf der Flucht war. Sie rechnete nicht damit, Lark bei einem von ihnen anzutreffen. Aber noch standen ein paar Namen auf der Liste. Sie hoffte immer noch, dass einer von ihnen vielleicht etwas Nützliches zu sagen hatte.
Elizabeth hatte im Radio einem Klassiksender gelauscht und ihre Gedanken bei einer Bachsonate schweifen lassen. Sie bemerkte, dass Shans Handy klingelte, aber sie achtete nicht auf sein Gespräch.
»Lizzie«, sagte er, jetzt mit lauterer Stimme. »Hast du mich gehört – wegen der Tabletten?«
Sie schaltete das Radio aus. »Was für Tabletten?«
»Die Tabletten, die ich in Larks Wohnung gefunden habe«, sagte er. »Sie waren in einer Blechdose mit einem handgeschriebenen Etikett, auf dem ›Sumatriptan‹ stand. Aber das Labor sagt, dass das kein Sumatriptan ist. Es ist bloß Vitamin D.«
Bachs Musik klang noch immer in ihrem Kopf nach.
»Was, glaubst du, bedeutet das? Hat Lark seine Tabletten durcheinandergekriegt?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Shan. »Aber wenn er Vitamin D gegen Kopfschmerzen nimmt, dann verschafft ihm das wahrscheinlich nicht allzu viel Erleichterung.«
Um zwanzig nach vier hörte ich eine Sirene, entfernt, aber immer näher kommend. Ich sah ein Chaos von Lichtern in meinem Seitenspiegel und fuhr an den Straßenrand. Der Krankenwagen füllte den Spiegel aus, bis er in südlicher Richtung an mir vorbeiraste.
Am Morgen war ich zu dem Haus an der Fernwood zurückgekehrt, dem Haus, das Callie Spencer und ich in der Nacht zuvor aufgesucht hatten. Ich glaubte eigentlich nicht, Lucy Navarro dort vorzufinden, aber ich konnte die Vorstellung nicht abschütteln, dass sie vielleicht gerade irgendwo in irgendeinem Keller lag. Nachts hatte ich von Treppen geträumt, die in die Dunkelheit führten.
Ich ging die Einfahrt hoch, suchte nach einem geeigneten Stein. Ich wollte schon ein Fenster einwerfen, als mein Blick wieder auf das Schild ZU VERMIETEN fiel. Ich zog mein Handy aus der Tasche, um die Nummer bei Casterbridge Realty anzurufen.
Eine halbe Stunde später tauchte eine Maklerin auf, eine fröhliche Frau in einem roten Blazer mit einem riesigen Schopf platinblonden Haars. Sie führte mich durch alle Zimmer des Hauses, zeigte mir den Dachboden, den Keller und die Garage. Nichts deutete darauf hin, dass Lucy hier gewesen war.
Den frühen Nachmittag
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