Bell ist der Nächste
»Aber Sie sollten hinfahren.«
Sie blickte mich verwirrt an. Ich zuckte mit den Schultern. Sie wandte sich wieder an ihn und strich ihm mit dem Daumen über die Stirn. »In Ordnung.«
»Das ist wirklich etwas Besonderes«, sagte er. »Versprechen Sie es mir.«
Ihre Augen lächelten, dann auch ihr Mund. Ein Lächeln, das herzzerreißend und fein war. »Ich verspreche es«, sagte sie.
Lark ließ sie keinen Moment mehr aus den Augen, aber seine letzten Worte galten mir. »Er hat eine Kühltruhe«, sagte er. »Denken Sie daran.«
»Ich werde daran denken«, erwiderte ich.
»Ich habe versucht, sie zu öffnen. Aber es ging nicht.«
»Schon gut.«
Die Sirenen waren jetzt schon näher. Larks Stimme war schwächer geworden, aber ich konnte ihn noch verstehen.
»Es tut mir leid um das Mädchen«, sagte er.
Bei all den vielfältigen Möglichkeiten, sich an einem Samstag in Ann Arbor zu amüsieren, verbrachte ich den Abend im Pausenraum der Ermittlungsabteilung in der City Hall. Ein fensterloser Raum mit einem zerkratzten Tisch und sechs nicht zusammenpassenden Stühlen. Einem Sofa mit zerschlissenen Kissen. Dem Geruch von starkem Kaffee.
Ich sah Elizabeth, kaum dass ich da war. Sie kam herein, um nach mir zu schauen und um zu hören, ob es irgendwelche neuen Verletzungen gab. Sie brachte mir Tabletten – Ibuprofen. Ich konnte sie gebrauchen. Der Schmerz in meiner Seite war ein schartiges, mahlendes Pochen.
Irgendwann tauchte Sarah auf, als die Tabletten die schlimmsten Kanten bereits abgeschliffen hatten. Sie kam mit dem Fahrrad und brachte Essen aus einem arabischen Imbiss mit. Wir aßen Hummus und Fattoush und Hähnchen-Sandwiches. Sie blieb ungefähr eine Stunde.
Nachdem sie gegangen war, streckte ich mich auf dem Sofa aus und schloss die Augen, aber ich konnte nicht schlafen. Vermutlich hätte ich nach Hause gehen können. Niemand hätte mich aufgehalten. Aber Ron Wintergreen, der Detective, bat mich, noch zu warten: Ich musste eine Aussage machen. Er hatte auch Harlan und Callie Spencer gebeten, zu kommen. Beide waren irgendwo im Gebäude. Aus den Gesprächen der Polizisten, die vorbeikamen, um ihre Kaffeebecher zu füllen, entnahm ich, dass auch Matthew Kenneally vorgeladen worden war.
Wintergreen sah ich an dem Abend überhaupt nicht mehr wieder. Stattdessen tauchte Owen McCaleb auf. Er wirkte gehetzt, sein Hemd war zerknittert, seine Krawatte saß locker. Immerhin war es schon beinahe elf Uhr. Ich hatte mir einen Stift und einen Notizblock erbeten, und die letzten Minuten von Anthony Lark protokolliert. McCaleb las das Protokoll, legte es dann auf den Tisch vor mir und sagte, ich solle es datieren und unterschreiben. Danach entließ er mich.
»Sie wollen mich gar nichts fragen?«
»Nein«, sagte er und schob seinen Stuhl vom Tisch weg. »Ich tu’s lieber nicht.«
Während er sich erhob, schien er noch einmal darüber nachzudenken. Verschränkte die Arme vor der Brust und starrte mich lange an. »Wenn ich Sie wirklich verhören wollte«, sagte er schließlich, »dann würde ich Sie als Erstes fragen, was Sie heute Nachmittag mit Sutton Bell besprochen haben.«
Ich trommelte sanft mit meinen Fingern auf die Tischplatte. »Ich habe mit ihm über den Great-Lakes-Überfall gesprochen«, sagte ich. »Aber ich würde nur ungern ins Detail gehen.«
»Bell wollte das auch nicht. Was Harlan Spencer anbelangt, so hat er ausgesagt, dass Sie vorbeigekommen sind, um ihn wegen der verschwundenen Reporterin Lucy Navarro zu befragen. Aber natürlich weiß er überhaupt nichts über sie, und so haben Sie beide nur herumgesessen und Eistee getrunken und darüber geredet, wie grün das Gras und wie blau der Himmel ist. Kommt das ungefähr hin?«
»Wir haben den Eistee genau genommen gar nicht getrunken«, sagte ich.
Er lächelte völlig humorlos. »Ich bin froh, dass wir dieses Detail klären konnten. Aber ich denke, wir belassen es jetzt lieber dabei. Denn wenn ich zu sehr in die Tiefe gehe, finde ich vielleicht heraus, dass Sie Ihre eigenen dilettantischen Nachforschungen zu Lucy Navarros Verschwinden angestellt haben. Und da Sie mit einem meiner Detectives zusammenleben, könnte das negative Auswirkungen für sie haben.«
»Lizzie hat überhaupt nichts Falsches getan –«
»Da bin ich mir ganz sicher. Aber sie hat sich dafür entschieden, sich mit einem Mann zusammenzutun, der seine Nase permanent irgendwo hineinstecken muss, und wenn ich zu viel darüber nachdenke, fange ich vielleicht an, ihre
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