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Bell ist der Nächste

Bell ist der Nächste

Titel: Bell ist der Nächste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Dolan
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heben.
    Wir gingen ins Haus, Nick voran, wir hinterher. Er führte uns ins Wohnzimmer. Auf dem Sims standen eine Reihe gerahmter Fotografien – die meisten von Nick, eine vom alten Charlie Dawtrey und eine, die wie ein Highschool-Foto von Matthew Kenneally aussah.
    Kenneallys Name war in den Nachrichten genannt worden, und ein oder zwei Sender hatten Bilder davon gezeigt, wie er die City Hall verlassen hatte, nachdem er wegen der Erschießung Anthony Larks befragt worden war. Ich wusste, dass Nick die Nachrichten über Larks Tod verfolgt hatte, und so fragte ich mich, warum er keine Verbindung zwischen Larks Arzt und dem Jungen auf dem Foto hergestellt hatte.
    Elizabeth nahm das Foto herunter und zeigte es Nick.
    »Wer ist das?«
    Er runzelte die Stirn. »Das soll mein Bruder sein.«
    »Weißt du es nicht genau?«
    »Ich habe ihn nie kennengelernt. Er ist viel älter als ich und lebt irgendwo im Süden.«
    »Im Süden von Michigan?«
    »Weiter südlich«, sagte er. »Ich glaube, er ist weggezogen, um von Mom wegzukommen. Sie kommen nicht miteinander aus. Er hat irgendeinen wahnsinnig wichtigen Job – er hat nie Zeit, zu Besuch zu kommen.«
    »Wie heißt er?«, fragte Elizabeth und stellte das Foto wieder auf den Kaminsims.
    Nick musste in seinem Gedächtnis kramen. »Chip«, sagte er schließlich.
    »Wofür ist das denn die Abkürzung?«
    Er zuckte ungeduldig mit den Schultern. »Wofür es sonst halt auch die Abkürzung ist. Wollen Sie mir mal sagen, was Sie hier eigentlich wollen?«
    Die Frage kam also doch. Bislang hatte er nicht hinterfragt, dass wir ihn nach Hause begleitet hatten. Ich stand schweigend da, mit den Händen in der Hosentasche, und spürte das glatte Metall der Kugel an den Fingerspitzen. Elizabeth starrte auf die Steine des Kamins. Ich wusste, dass sie ihm nicht antworten wollte.
    Sie konnte ihm nicht die Wahrheit sagen: dass seine Mutter seinen Vater zumindest teilweise aus Schuldgefühlen geheiratet hatte, weil ihr Sohn der Bestrafung für den Überfall auf die Great Lakes Bank entgangen und sein Sohn ins Gefängnis gewandert war. Dass er, Nick, eine Art von Sühne war, ein Ersatz für den verlorenen Bruder Terry. Sie konnte ihm nicht sagen, dass sein anderer Bruder Matthew Kenneally Anthony Lark manipuliert und ihn auf Terry angesetzt hatte – ein Akt, der direkt zum Tod von Nicks Vater geführt hatte.
    Sie entschied sich für eine Antwort, die eigentlich gar nichts sagte.
    »Wir sind gekommen, um mit ein paar Leuten hier zu sprechen. Um ein paar Fragen zu stellen.«
    »Was für Fragen?«, sagte er.
    »Reine Polizeiarbeit. Nichts, worüber du dir Gedanken machen solltest.«
    Das war die falsche Antwort. Nick zog verächtlich die Mundwinkel nach unten. Er kehrte Elizabeth den Rücken zu und sagte zu mir: »Sie haben gelogen, Mann.«
    »Was meinst du?«
    »Sie haben gesagt, dass sie herausfinden wollte, was wirklich mit meinem Vater passiert ist. Und mit Terry.«
    »Das wollte sie auch. Und das hat sie.«
    »Sie ist bloß ein Bulle«, sagte er, und seine Stimme wurde lauter. »Bullen passen auf andere Bullen auf.«
    »Wir haben bereits darüber gesprochen, Nick«, entgegnete ich. »Anthony Lark hat deinen Vater getötet. Die Polizei hatte damit nichts zu tun.«
    »Paul Rhiner hat Terry erschossen. Er war ein Bulle.«
    »Er hat seinen Job getan. Terry hat versucht zu fliehen.«
    »Aber sie mussten ihn doch nicht gleich töten.«
    Die Worte brachen aus ihm heraus, und er schrie jetzt fast. Ich konnte die Anspannung in seinen Schultern sehen, in seinen zu Fäusten geballten Händen. Ich dachte, gleich würde er weinen.
    »Hey«, sagte ich sanft. »Beruhige dich.«
    Elizabeth trat näher. »Schon gut, alles in Ordnung«, sagte sie. »Ich weiß, dass es hart ist. Du hast Terry geliebt. Du musst das nicht mit dir allein ausmachen. Hast du mit deiner Mutter gesprochen? Weiß sie denn … was passiert ist?«
    Nick wandte sich verwirrt an mich. »Verstehe ich nicht.«
    Ich antwortete ihm nicht gleich, drehte wieder die Kugel zwischen den Fingern hin und her. Nick benahm sich wie ein Erwachsener, aber er war fünfzehn Jahre alt. Er hatte einen Bruder im Gefängnis gehabt und ihn immerhin so geliebt, dass er ihm geholfen hatte zu fliehen. Aber der Fluchtversuch war gescheitert. Sein Bruder war gestorben.
    Ich sah, wie sich die Kugel zwischen meinen Fingern drehte. Ohne es zu merken, hatte ich sie aus der Tasche geholt. Als ich aufblickte, merkte ich, dass Nick mich anstarrte. Ich schob die Hand wieder in

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