Bell ist der Nächste
Turner?«, sagte ich.
Elizabeth antwortete, ohne den Blick von der Straße abzuwenden. »Sie ist vorsichtig. Sie hat die letzten siebzehn Jahre einen Drahtseilakt hingelegt.«
»Sie hat eine Menge für sich behalten«, sagte ich. »Sie hat Matthew Kenneally beinahe komplett vor Nick verheimlicht.«
»Das musste sie. Sobald sie mit Charlie Dawtrey zusammengekommen war, hatte sie sich auf gefährlichem Terrain befunden. Damals muss die Geheimnistuerei angefangen haben, bevor Nick geboren wurde. Sie hatte bestimmt vor Terry Dawtrey Angst. Sie wusste, dass er Kenneally beim Überfall gesehen hatte, und wahrscheinlich auch schon davor. Sie ist vielleicht davon ausgegangen, dass er Kenneallys richtigen Namen nicht kannte, aber sicher konnte sie nicht sein. Alles, was sie Charlie – und später Nick – über ihren Sohn erzählte, konnte bei Terry landen.«
Also wurde aus Matthew Kenneally »Chip«, der Sohn, von dem sie sich entfremdet hatte, der irgendwo tief im Süden lebte und einen Beruf hatte, der ihn davon abhielt, zu Besuch zu kommen. Der nicht viel mehr war als eine Fotografie auf dem Kaminsims.
»Sie muss dennoch mit ihm in Kontakt geblieben sein«, sagte ich, »selbst wenn es hinter Nicks Rücken geschehen musste.«
Elizabeth nickte. »Ich wäre gar nicht überrascht, wenn Kenneally sie hier oben besucht hat. Sie könnte es so eingerichtet haben, dass sie sich mit ihm traf, während Nick in der Schule war. Und Kenneally hat drei eigene Kinder – Madelyns Enkelkinder. Sie wollte doch sicher an ihrem Leben teilhaben.«
Was für eine Geheimniskrämerei, dachte ich. Was für Sorgen. Und das alles, weil sie nicht sicher sein konnte, wie viel Terry Dawtrey über ihren Sohn wusste.
Und wie sich herausstellte, waren die Sorgen nicht unberechtigt. Bevor wir aufgebrochen waren, hatte ich Nick die Frage gestellt, die ich ihm schon viel früher hätte stellen sollen. Die offensichtliche Frage. Kannte Terry die Identität des fünften Bankräubers? Wusste er, wer das Fluchtauto gefahren hatte?
Die Antwort, die er mir gab, war frustrierend. Terry kannte sie. Floyd Lambeau hatte ihm einiges erzählt. Lambeau hatte ihm mehr vertraut als den anderen, schließlich war Lambeau – genau wie Terry – ein Ojibwa. Nick glaubte, dass Terry den Namen des Fahrers kannte – zumindest seinen Vornamen – und außerdem noch andere Einzelheiten. Wo er zur Schule gegangen war, was er studiert hatte. Genug, um seine Identität zu enthüllen. Terry hätte den Fahrer jederzeit ans Messer liefern lassen können.
Aber wenn das wahr war, fragte ich, warum hatte er es dann nicht getan?
Auch darauf gab Nick mir eine Antwort.
Sam Tillmans Haus lag fünfzig Meter von der Straße zurück auf einem flachen Stück Land, das an einer Seite an den Wald stieß. Seine nächsten Nachbarn waren fünfhundert Meter entfernt.
Elizabeth stellte den Motor ab, und wir stiegen aus. Eine angenehme Brise und das Zirpen der Zikaden nahm uns in Empfang. Der Vollmond schien silbrig aufs Gras.
Ich ging um den Wagen herum zu Elizabeth. Sie schob ihre Hand in meine. Als wir uns dem Haus näherten, trat ein Mann auf die Veranda heraus. Er lehnte sich an einen Pfosten oben an den Stufen. »Schöner Abend heute«, sagte er.
Elizabeth holte ihre Marke aus der Handtasche und hielt sie hoch. »Elizabeth Waishkey«, sagte sie. »Ich bin von der Polizei in Ann Arbor.«
»Ich dachte mir, dass Sie wiederkommen würden, früher oder später.«
Er kam langsam die Stufen herunter und streckte erst Elizabeth die Hand entgegen, dann mir. Er hatte einen kräftigen Händedruck.
»David Loogan«, sagte ich.
»Sam Tillman. Nett, Sie kennenzulernen.«
Die Nachtluft strömte durch die Fenster in den Eingangsraum. Auf der einen Seite waren ein Sofa und zwei Ohrensessel um einen Couchtisch gruppiert, auf der anderen Seite, gleich bei dem Durchgang zur Küche, befand sich eine Standuhr. Neben der Uhr stand ein Schreibtisch mit einem holzgeschnitzten Stuhl, über dessen Rückenlehne ein Gürtel mit einer Neun- Millimeter-Pistole im Halfter hing.
Tillman bat uns hinein. Rasch räumte er ein paar Dinge vom Sofa weg, sodass wir uns setzen konnten – Spielzeug, Plüschtiere, einen Schal. Er legte sie auf einen der beiden Ohrensessel und nahm dann auf dem anderen Platz.
Er hatte den rechten Ellbogen auf die Sessellehne gestützt, und seine Wange ruhte in seiner Hand. Er wartete. Auf mich machte er den Eindruck, als hätte er schon seit Stunden so dagesessen. Es liefen weder
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