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Bell ist der Nächste

Bell ist der Nächste

Titel: Bell ist der Nächste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Dolan
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Menschen, die keiner Fliege etwas zuleide tun können oder sich schuldig fühlen, wenn sie auf einen Wurm treten. Es stört mich auch nicht allzu sehr, wenn irgendeinem Frosch irgendetwas passiert. Aber eine Schildkröte bedarf doch einer gewissen Rücksicht.«
    Ich schraubte die Flasche wieder zu. »Das will ich nicht leugnen«, sagte ich.
    »Sie glauben, ich habe eine Meise.«
    Ich stellte die Flasche auf die Mauer zwischen uns. »Ich will Sie mal was fragen. Was machen Sie mit Spinnen? Wenn Sie eine im Haus entdecken?«
    »Ich hasse Spinnen«, sagte sie, ein bisschen zu schnell. »Wenn ich eine Spinne sehe, mache ich sie mit einer zusammengerollten Zeitung platt.«
    Ich sah in das helle Grün ihrer Augen und wartete. Sie blinzelte nicht.
    »Ich glaube Ihnen nicht«, sagte ich.
    Sie schaute weg, steckte sich ein Stück Bagel in den Mund und kaute langsam. Sie rollte ein weiteres Stück zwischen ihren Fingern. »Also gut«, sagte sie. »Es kommt darauf an. Wenn sie fies aussieht, mache ich sie vielleicht platt. Aber wenn sie einigermaßen harmlos aussieht, versuche ich, sie auf ein Stück Papier zu locken und nach draußen zu tragen. Sie im Garten auszusetzen.«
    Sie grinste, und ich spürte, wie ich selber grinsen musste. Ich sagte nichts. Sie streckte den Arm aus und knuffte mich.
    Binnen kurzem streckte die Schildkröte ihren Kopf wieder aus dem Panzer und kam in Bewegung. Sie überquerte den Gehsteig, aber Lucy kam ihr zuvor und hielt sie auf. Ich stand auf, als sie sie zurückbrachte. »Ich will es mal versuchen«, sagte ich.
    Sie gab sie mir, und ich trug sie mit einer Hand über ein gepflegtes Grundstück mit einem weißen viktorianischen Haus. Zwar gab es Büsche und Hecken, aber nichts sah besonders einladend aus. Als ich weiterspazierte, entdeckte ich einen kleinen künstlichen Teich, der von Steinen und Schieferplatten umgeben war. Seerosenblätter trieben auf der Wasseroberfläche. Ein kleiner Frosch versteckte sich im Schatten einer Hyazinthe.
    An einer Stelle am Rand des Teiches spross Klee, und dort setzte ich die Schildkröte ab. Nach einer Minute kam ihr Kopf aus dem Panzer hervor, und ihre dunklen Augen sahen zu mir auf.
    »Bleib«, sagte ich.
    Ich ging einige Meter zurück und wartete, um zu sehen, ob sie mir folgen würde. Drüben am Haus war ein Gärtner dabei, einen Birnbaum zu beschneiden. Er hielt inne und sah zu mir herüber, und ich schenkte ihm ein freundliches Nicken. Als ich wieder zur Schildkröte sah, war sie auf ein Stück Schiefer geklettert. Ich nahm das als Sieg.
    Ich lief über den Rasen zurück und setzte mich wieder zu Lucy auf die Mauer. Als ich ihr von dem Teich erzählte, war sie glücklich, blieb aber skeptisch.
    »Vielleicht kommt sie trotzdem wieder«, sagte sie.
    »Ich glaube nicht«, sagte ich. »Wir haben eine Vereinbarung getroffen.« Ich überließ Lucy ihrem Schicksal und fuhr in die Innenstadt. Als ich in der Redaktion ankam, war es beinahe elf Uhr. Der Fahrstuhl trug mich in den fünften Stock hinauf. Schon aus der Ferne bemerkte ich vor der Tür von Gray Streets ein Päckchen auf dem Boden. Diesmal kein Umschlag. Es war eine lange dünne Papiertüte, die am offenen Ende fest verdreht war.
    Das Erste, was mir einfiel, war Rohrbombe . Das Teil hatte ungefähr die richtige Form. Gleichzeitig sah es so aus wie diese Tüten, die man in Schnapsläden bekommt. Nach oben hin verengte es sich wie ein Flaschenhals. Ich ging das Risiko ein und öffnete die Tüte. Sie enthielt eine Flasche Scotch – Macallan, Single Malt.
    Ich nahm sie mit in mein Büro und stellte sie auf meinen Schreibtisch. Es war kein Kärtchen dabei, dem ich hätte entnehmen können, von wem sie war. Ich saß da und betrachtete sie eine Weile nachdenklich, dann griff ich zu meinem Handy und rief Bridget Shellcross an.
    »Hallo, David.« Sie klang verschlafen.
    »Hi, Bridget. Hast du eine Flasche Scotch vor meine Bürotür gestellt?«
    Ich hörte Geflüster und ein leises dünnes Kichern im Hintergrund – wie von einer esoterischen Frau, die Laute spielte.
    Bridget zischte, damit sie leise war, und sagte dann: »Der liebe Gott weiß, dass ich schon daran gedacht habe, David. Es wäre viel günstiger, als dir ein Gläschen nach dem anderen auszugeben. Bist du im Büro?«
    »Ja. Ich bin gerade gekommen und habe die Flasche entdeckt.«
    »Na ja, solange sie niemand durchs Fenster reingeschmissen hat, bist du der Konkurrenz doch weit voraus.«
    Ich stupste die Flasche mit meinen Fingerspitzen an.

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