Belladonna
Sie hatte leichte Kopfschmerzen, und zudem war ihr auch ein wenig übel, weil sie am Abend zuvor wohl etwas zu viel getrunken hatte. Hinzu kam noch das Unbehagen über das emotionale Drama, das sich abgespielt hatte. Je weiter der Tag fortschritt, desto ausgelaugter fühlte sie sich. Beim Mittagessen hatte Molly bemerkt, dass Sara heute wohl besser Patientin als Ärztin wäre.
«Ich hab Mark diese Samen gezeigt», sagte Nick. «Er sagt, es handelt sich auf jeden Fall um Belladonna, nur sind es die Beeren, nicht die Samen.»
«Gut zu wissen», brachte Sara heraus. «Er ist seiner Sache sicher?»
«Hundertprozentig», erwiderte Nick. «Er sagt, irgendwie ist es komisch, dass sie die Beeren gegessen haben. Du weißt ja, die sind am wenigsten giftig. Vielleicht gibt euer Kerl da unten ihnen die Beeren, damit sie aufgekratzt sind, und gibt ihnen die endgültige Dosis erst, wenn er von ihnen ablässt.»
«Das klingt einleuchtend», sagte Sara, die gar nicht darüber nachdenken mochte. Heute wollte sie keine Ärztin sein. Heute wollte sie keine Gerichtsmedizinerin sein. Sie wollte nur im Bett liegen, Tee trinken und irgendwas Stumpfsinniges in der Glotze sehen. Und genau das würde sie auch tun, sobald sie die letzte Krankenakte des Tages auf den neuesten Stand gebracht hatte.
Dankenswerterweise hatte Nelly den morgigen Tag als einen
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freien Tag für Sara angemeldet. Sie würde das Wochenende nutzen, um neue Kraft zu tanken. Montag würde Sara dann wieder ganz die Alte sein.
Sie fragte: «Irgendwas zu der Spermaprobe?»
«Damit haben wir ein paar Probleme, wenn man in Betracht zieht, wo du sie gefunden hast. Ich denke jedoch, dass wir da noch etwas herausbekommen.»
«Das sind ja gute Nachric hten.»
Nick sagte: «Erzählst du Jeffrey das mit den Beeren, oder soll ich ihn anrufen?»
Sara wurde bei der Erwähnung von Jeffreys Namen noch mehr übel.
«Sara?», fragte Nick nach.
«Ja», antwortete Sara. «Ich rede mit ihm, sobald ich die Arbeit hier hinter mir habe.»
Sara legte nach den angemessenen Abschiedsfloskeln auf.
Danach saß sie in ihrem Büro und massierte sich das Kreuz. Sie überflog die nächste Krankenakte, trug die Änderung der Medikation ein und notierte, dass der Patient wegen der Laborresultate zu einem neuen Termin bestellt werden sollte.
Als sie mit der letzten Akte durch war, zeigte die Uhr halb sechs an.
Sara stopfte ein paar Akten in ihre Aktentasche, denn sie wusste, dass am Wochenende auch der Moment kommen würde, wo die Schuldgefühle einsetzten und sie einfach etwas arbeiten musste. In ihr kleines Aufnahmegerät konnte sie zu Hause diktieren. Es gab in Macon einen Laden, wo man Abschriften machte, es dauerte nur zwei Tage.
Sie knöpfte ihre Jacke zu, als sie die Straße überquerte und den Weg in die Innenstadt einschlug. Sie blieb auf dem Gehsteig, der der Apotheke gegenüberlag, um Jeb nicht über den Weg zu laufen. Sara hielt den Kopf gesenkt, als sie an dem
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Haus haltswarenladen und dem Textilgeschäft vorbeiging, sie wollte niemanden zu einer Unterhaltung animieren. Dass sie vor der Polizeiwache stehen blieb, überraschte sie selbst. Ihr Verstand arbeitete, ohne dass sie sich dessen bewusst wurde, und mit jedem Schritt wurde sie zorniger auf Jeffrey, weil er sie nicht angerufen hatte. Es war doch nicht zu bestreiten, dass sie ihre Seele über seinem Badezimmerwaschbecken entblößt hatte, und trotzdem hatte er nicht den Anstand besessen, sie anzurufen.
Sara marschierte in die Wache und rang sich ein Lächeln für Maria ab. «Ist Jeffrey da?»
Maria runze lte die Stirn. «Ich glaube nicht», sagte sie. «Er hat sich um die Mittagszeit schon abgemeldet. Sie müssten vielleicht Frank fragen.»
«Und der ist hinten?» Sara deutete mit ihrer Aktentasche auf die Tür.
«Ich glaub schon», antwortete Maria und wandte sich wieder ihrer Beschäftigung zu.
Sara warf einen Blick darauf, als sie an der älteren Frau vorbeiging. Maria löste ein Kreuzworträtsel.
Der hintere Raum war leer, und die ungefähr zehn
Schreibtische, an denen normalerweise die ranghöheren Detectives arbeiteten, waren momentan nicht besetzt. Sara nahm an, dass sie dabei waren, Jeffreys Liste abzuarbeiten, oder kurz etwas zu Abend aßen. Mit erhobenem Kopf steuerte sie auf Jeffreys Büro zu und trat ein. Natürlich war er nicht da.
Sara stand in dem kleinen Büroraum. Ihre Aktentasche hatte sie auf seinem Schreibtisch abgestellt. Sie war wer weiß wie oft in diesem Raum gewesen. Hier hatte
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