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Belladonna

Belladonna

Titel: Belladonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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daneben, und Sara legte ihn zurück. Fast im selben Moment klingelte das Telefon.
    Sara atmete tief durch und antwortete: «Hallo.»
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    «He, Baby», sagte Eddie Linton. «Wo hast du dich
    rumgetrieben?»
    «Ich hab aus Versehen das Telefon runtergeworfen», log Sara.
    Entweder hatte ihr Vater die Lüge nicht bemerkt, oder er ließ sie ihr durchgehen. Er sagte: «Wir machen hier gerade unser Frühstück. Willst du nicht rüberkommen?»
    «Nein danke», antwortete Sara, obwohl ihr leerer Magen im selben Augenblick auch schon protestierte. «Ich wollte gerade meinen Morgenlauf machen.»
    «Und wie wär's mit danach?»
    «Vielleicht», antwortete Sara auf dem Weg zum Schreibtisch in der Diele. Sie öffnete die oberste Schublade und holte zwölf Postkarten hervor. Zwölf Jahre seit der Vergewaltigung, eine Postkarte für jedes Jahr. Zusammen mit ihrer Adresse war jedes Mal ein Bibelvers auf die Rückseite getippt.
    «Baby?», machte sich Eddie bemerkbar.
    «Ja, Paps», antwortete Sara und achtete wieder darauf, was er sagte. Sie legte die Karten in die Schublade zurück und schob diese mit der Hüfte zu.
    Sie unterhielten sich über das Unwetter. Eddie berichtete ihr, dass ein Ast das Haus der Lintons nur um wenige Meter verfehlt hatte, und Sara bot an, später vorbeizukommen und bei den Aufräumungsarbeiten zu helfen. Während er sprach, überkam Sara die Erinnerung an die erste Zeit nach der Vergewaltigung.
    Sie lag im Krankenhausbett, die Beatmungsmaschine ächzte, und der Monitor für die Herztätigkeit hatte ihr die Gewissheit vermittelt, dass sie noch nicht gestorben war, obwohl sie sich gut daran erinnerte, dass sie diese Gewissheit als nicht im Geringsten tröstlich empfunden hatte.
    Sie war eingeschlafen, und als sie aufwachte, war Eddie bei ihr, hielt ihr e Hand in seinen beiden Händen. Sie hatte ihren Vater zuvor noch nie weinen sehen, aber in dem Moment weinte
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    er, schluchzte leise und Mitleid erregend. Cathy stand hinter ihm, hatte die Arme um seine Taille geschlungen und den Kopf an seinen Rücken gelegt. Sara war es vorgekommen, als sei sie fehl am Platz, und hatte sich gefragt, was die beiden wohl bedrückte. Erst dann war ihr eingefallen, was ihr passiert war.
    Nach einer Woche Krankenhausaufenthalt hatte Eddie sie nach Grant zurückgefahren. Sara hatte während des gesamten Weges den Kopf an seine Schulter gelehnt. Sie saß auf der vorderen Bank seines alten Pickups, zwischen ihre Mutter und ihren Vater gequetscht, so wie es eigentlich vor Tessas Geburt immer gewesen war. Ihre Mutter hatte ein Kirchenlied, das Sara noch nie zuvor gehört hatte, ziemlich falsch gesungen.
    Irgendwas von Seelenheil. Etwas von Erlösung. Etwas von Liebe.
    «Baby?»
    «Ja, Daddy», antwortete Sara. Sie wischte sich eine Träne aus dem Auge. «Ich guck später rein, okay?» Sie hauchte einen Kuss in den Hörer. «Ich liebe dich.»
    Er antwortete entsprechend, aber sie bemerkte die Besorgnis in seiner Stimme. Sara ließ die Hand auf dem Hörer, wünschte mit aller Kraft, dass er sich nur nicht aufregte. Das Schlimmste an ihrer Genesung von dem, was Jack Allen Wright ihr angetan hatte, war das Wissen darum, dass ihr Vater über alle Einzelheiten der Vergewaltigung Bescheid wusste. Sie fühlte sich ihm gegenüber so entblößt, während einer so langen Zeit, dass sich ihr Verhältnis verändert hatte. Die Sara, mit der er spontan irgendwelche Spiele gespielt hatte, die gab es nicht mehr. Nicht mehr erwähnt wurden auch Eddies Scherze, dass er wünschte, sie würde Gynäkologin werden, damit er sagen könnte, seine beiden Töchter hätten sich aufs Klempnern verlegt. Er sah sie nicht mehr als seine unverwundbare Sara. Er sah sie als jemanden, den er beschützen musste. Ja, er sah sie so, wie Jeffrey sie jetzt sah.
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    Sara zog die Schnürsenkel an ihren Tennisschuhen zu fest zu, kümmerte sich aber nicht darum. Letzte Nacht hatte sie aus Jeffreys Stimme Mitleid herausgehört. Sofort und instinktiv wusste sie, dass sich alles unwiderruflich verändert hatte. Von jetzt an würde er in ihr immer nur das Opfer sehen. Sara hatte zu verbissen darum gekämpft, dies Gefühl zu überwinden, als dass sie sich ihm jetzt wieder ergeben würde.
    Nachdem sie eine leichte Jacke übergezogen hatte, trat Sara aus dem Haus. Sie joggte die Auffahrt hinunter zur Straße und wandte sich nach links, weg vom Haus ihrer Eltern. Sara joggte nicht gern auf Straßenpflaster, denn sie hatte zu viele Knie gesehen, die von dem ständigen

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