Belladonna
Stauchen Verletzungen davongetragen hatten. Wenn sie Fitnesstraining machte, dann mit den Geräten im YMCA von Grant, oder sie schwamm dort im Pool. Im Sommer ging sie frühmorgens im See schwimmen, um ihren Kopf frei zu bekommen und sich auf den
bevorstehenden Tag zu konzentrieren. Heute wollte sie sich jedoch ohne Rücksicht auf ihre Gelenke bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit treiben. Sara war schon immer ein körperbewusster Mensch gewesen, und durch Schwitzen fand sie ihre Mitte wieder.
Nach ungefähr zwei Meilen verließ sie die Hauptstraße und nahm einen Seitenpfad, um am See entlanglaufen zu können.
Stellenweise war der Boden holprig, aber der Ausblick war herrlich. Die Sonne gewann endlich ihren Kampf gegen die dunklen Wolken, als Sara feststellte, dass sie bei Jeb McGuires Haus war. Sie war stehen geblieben, um sich das schnittige schwarze Boot anzusehen, das an seinem Steg vertäut war, als sie schaltete, wo sie war. Sie beschattete die Augen mit der Hand, um die Rückseite von Jebs Haus zu betrachten.
Er wohnte in dem alten Tanner-Haus, das erst kürzlich auf den Markt gekommen war. Die Leute gaben ihre
Seegrundstücke nicht gern auf, aber die Tanner-Kinder, die schon vor Jahren aus Grant weggezogen waren, hatten nur zu
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gern das Geld eingesackt, als ihr Vater schließlich einem Emphysem erlegen war. Russell Tanner war ein netter Mann gewesen, aber er hatte wie die meisten alten Leute auch seine Macken gehabt. Jeb hatte ihm seine Medikamente persönlich vorbeigebracht, und das hatte wahrscheinlich auch dazu beigetragen, dass er das Haus nach dem Tod des alten Mannes billig bekommen hatte.
Sara ging den steil abschüssigen Rasen zum Haus empor.
Eine Woche nach seinem Einzug hatte Jeb eine große
Renovierungsaktion gestartet, die alten windschiefen Fenster durch Doppelglasscheiben ersetzt und die Asbestschindeln vom Dach und die Asbestplatten der Seitenverkleidung entfernt.
Solange sich Sara erinnern konnte, war das Haus dunkelgrau gewesen, aber Jeb hatte es in einem heiteren Gelb gestrichen.
Sara war die Farbe zu grell, aber zu Jeb passte sie.
«Sara?», fragte Jeb, der aus dem Haus kam. Er trug einen Werkzeuggürtel, an dem ein Schindelhammer hing.
«He», antwortete sie und ging auf ihn zu. Je näher sie dem Haus kam, desto deutlicher fiel ihr ein Tropfgeräusch auf. «Was ist denn das für ein Geräusch?», fragte sie.
Jeb deutete auf eine Dachrinne, die vom Dachansatz
herunterhing. «Ich wollte gerade da rangehen», erklärte er. Er kam auf sie zu und stützte die Hand auf den Hammer. «Ich hatte so viel im Geschäft zu tun, dass ich kaum zum Luftholen gekommen bin.»
Sie nickte, denn sie verstand sein Dilemma. «Kann ich dir irgendwie helfen?»
«Danke, geht schon», erwiderte Jeb und hob eine zwei Meter lange Leiter auf. Er trug sie zu der Stelle, wo die Rinne herunterhing, hörte dabei aber nicht zu reden auf. «Hörst du, wie laut es ist? Das verdammte Ding leitet das Wasser so langsam ab, dass es wie ein Dampfhammer auf den Sockel des Fallrohrs prallt.»
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Sie hörte das Geräusch noch deutlicher, als sie Jeb zum Haus folgte. Es war ein an den Nerven zerrendes, sich ständig wiederholendes dumpfes Geräusch. Als würde ein Wasserhahn in ein Becken aus Gusseisen tropfen. Sie fragte: «Was ist denn passiert?»
«Altes Holz vermutlich», sagte er und stellte die Leiter auf.
«Dies Haus ist der reinste Geldfresser. Ich repariere das Dach, und die Dachrinnen fallen ab. Ich versiegele das Dach, und schon sinken die Stützpfähle ab.»
Sara blickte unter die Deckterrasse und sah den
Wasserspiegel. «Ist dein Keller überflutet?»
«Gott sei Dank habe ich keinen, sonst würde da unten Hochwasser herrschen», sagte Jeb und griff in einen der Lederbeutel an seinem Gürtel. Er holte mit der einen Hand einen Dachrinnennagel hervor und langte mit der anderen nach dem Hammer.
Sara sah gebannt auf den Nagel und brachte ihn mit etwas in Verbindung. «Darf ich den mal sehen?»
Er sah sie irritiert an und antwortete dann: «Sicher.»
Sie nahm den Nagel und wog ihn in der Hand. Mit seinen fünfundzwanzig Zentimetern war er bestimmt lang genug, um eine Dachrinne zu halten, aber hätte jemand diese Art Nagel auch benutzen können, um Julia Matthews auf dem Fußboden anzunageln?
«Sara?», machte Jeb sich bemerkbar. Er streckte die Hand nach dem Nagel aus. «Ich hab noch mehr davon im
Lagerschuppen», sagte er und deutete auf den Blechschuppen.
«Wenn du einen behalten
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