Belsazars Ende
müssen.«
Aufs Stichwort betrat Stanislaus Siegelkötter das Büro, wie immer überkorrekt in seiner äußeren Erscheinung. Nur am feinen Metallklang seiner Stimme konnte man merken, daß er aufs Höchste erregt war.
»Ich bekomme gerade einen Anruf vom Staatsanwalt. Der ist bereits en detail informiert, während ich, Herr van Appeldorn, als Ihr Vorgesetzter und Verantwortlicher, bisher nicht einmal unterrichtet wurde, daß ein Mordfall vorliegt.«
Er holte scharf Luft.
»Es dürfte doch auch Ihnen klar sein, was bei einem derart prominenten Mitbürger an Öffentlichkeit auf uns zukommt. Dieser Fall wird durch die internationale Presse gehen.«
Van Appeldorn zauberte ein joviales Lächeln auf sein Gesicht. »Ach, Herr Siegelkötter. Gut, daß Sie kommen. Ich wollte Ihnen soeben meinen Bericht bringen, aber wenn Sie jetzt selbst hier sind, brauche ich meine Arbeit ja nicht zu unterbrechen.«
Siegelkötters Augen wurden klein. »Wo ist Herr Toppe?« fragte er mit steifen Lippen.
Van Appeldorn hob bedauernd die Schultern.
»Meine Herren, es scheint mir in der Tat notwendig zu sein, Sie auf die Einhaltung Ihrer Dienstzeiten hinzuweisen.«
»Das könnte durchaus interessant sein«, räkelte sich van Appeldorn. »Was meinen Sie, gehört fünf Uhr morgens zur Dienstzeit?«
Siegelkötter winkte ab. »Uns fehlt die Zeit für Spitzfindigkeiten! Herr Breitenegger..«
Günther Breitenegger bekam einen anhaltenden Hustenanfall. »Ich sollte wohl weniger rauchen«, bemerkte er dann und betrachtete sinnierend seine Pfeife. »Entschuldigen Sie die Unterbrechung, Herr Siegelkötter.«
»Um 11.30 Uhr erwarten die Damen und Herren von der Presse – der überregionalen Presse wohlgemerkt – eine Stellungnahme von uns. Und nun ist Herr Toppe nicht anwesend.«
Van Appeldorn verbeugte sich leicht auf seinem Stuhl. »Ich bin selbstverständlich bereit., wenn Sie mit mir vorlieb., allerdings«, er sah auf seine Armbanduhr, »muß ich gegen vierzehn Uhr in Schipol sein und die Gattin des Toten vom Flugzeug abholen.«
In diesem Augenblick kam Toppe herein.
Siegelkötter holte aus: »Herr Toppe!«
Aber Toppe streckte ihm freundlich seine Hand entgegen. »Guten Morgen, Herr Siegelkötter.«
Reflexartig wollte Siegelkötter ihm die Hand reichen, konnte aber im allerletzten Moment noch abbremsen. Toppes Hände waren ölverschmiert.
»Mein Auto«, entschuldigte er sich, »hat wohl endgültig sein Leben ausgehaucht. Ich mußte von kurz hinter Warbeyen zu Fuß gehen. Ich werde erst mal..«
Damit war er schon wieder, die Hände weit von sich gestreckt, zur Tür hinaus auf dem Weg zum Waschraum.
Als er zurückkam, war Siegelkötter gegangen. Sie tauschten ein paar kleine gemeinsame Bosheiten aus. Anfangs hatten sie alle, besonders Toppe, Probleme gehabt mit dem neuen Chef, der kalt, humorlos und machtbewußt alles persönlich kontrollierte und ihnen genauestens vorschrieb, auf welche Art sie ihre Arbeit zu tun hatten. Das Klima im Team war deswegen lange ganz schön frostig gewesen, aber inzwischen hatten sie ihre Mechanismen entwickelt und kamen besser mit der Situation klar.
»Ist der Bericht vom Notarzt schon da?« wollte Toppe wissen.
»Liegt auf deinem Schreibtisch. Ergibt aber nichts Neues. Aber Berns, warte mal..« van Appeldorn fischte ein Papier aus seiner Mappe. »Hier, ein erster Kurzbericht vom ED. Einen ausführlichen Bericht, so Kaiser Paul I., können wir um siebzehn Uhr erwarten. Er faselte was von Posterschau im Labor. Hoffentlich bin ich bis dahin zurück.«
»Wieso?«
»Frau van Velden kommt um 14.10 Uhr in Schipol an. Ich habe versprochen, sie abzuholen. Nette Frau übrigens, wenigstens am Telefon.«
Toppe überflog Berns’ handschriftlichen Zettel: Schuhspuren im Garten; am Zaun zum
Nachbargrundstück; jemand rübergeklettert; lassen sich durch die anderen Gärten bis zur Tankstelle verfolgen. Goldener Lackstift in der Schreibtischschublade .
Die letzte Anmerkung war mit zwei Ausrufezeichen versehen.
»Was soll das eigentlich mit dem Lackstift?«, fragte Breitenegger.
»Ach«, Toppe rieb sich die Stirn, »war nur so eine Idee. Hat sich aber wohl schon erledigt.«
»Soso«, brummte Breitenegger. »Bonhoeffer hat übrigens gerade eben angerufen. Er bekommt den Toten heute abend und will sehen, daß er ihn morgen früh als erstes vornimmt, um sieben. Er wünscht übrigens, daß du diesmal persönlich anwesend bist.«
»Hör auf, das glaub’ ich nicht. Das hat er sicher nicht gesagt.«
Breitenegger
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