Belsazars Ende
Penner kann das jedenfalls nicht gewesen sein. Das kommt vom Zeitplan her nicht hin. Der haute nämlich gerade in dem Moment ab, als der Notarzt eintraf.«
»Okay«, sagte van Appeldorn gelassen, »okay, ich gebe zu, da hakt meine Theorie etwas. Ansonsten paßt alles. Und vor allem gibt es da einen konkreten Punkt, bei dem wir ansetzen können: die Schuhspuren im Garten.«
Er stand auf und klemmte sich den Schuhkatalog, mit dem er vorher am Fenster gestanden hatte, unter den Arm. »Und darum werde ich mich jetzt kümmern. Ich sehe mir alle Vernehmungsprotokolle mit Pennern, die jemals hier geführt worden sind, auf die Schuhgröße hin durch.«
Um kurz nach sieben war Toppe wieder allein im Büro. Van Appeldorn mußte sich um seine Tochter kümmern, seine Frau machte mittwochs einen Italienischkurs, und Breitenegger hatte Karten für irgendein Konzert in der Stadthalle.
Astrid war immer noch nicht vom Zeitungsarchiv zurück; die mußten doch eigentlich längst geschlossen haben.
Es war sehr still im Präsidium. Toppe fröstelte und legte die Hand auf die Heizung; sie war kalt, obwohl das Ventil ganz aufgedreht war.
Er stützte das Kinn in die Hand und grübelte: Van Appeldorns Pennertheorie hörte sich wirklich gar nicht so schlecht an, aber der Anruf beim Notarzt paßte beim besten Willen nicht rein. Möglich, daß dem diensthabenden Feuerwehrmann ein Fehler unterlaufen war. Vielleicht hatte er die falsche Uhrzeit notiert? Aber das war mehr als unwahrscheinlich.
Es gab bei diesem Fall eigentlich nur Ungereimtheiten, Jede Antwort führte zu einer neuen Frage.
Diese merkwürdige Sache mit der Restaurierung des Amphitheaters. Warum hatte sich van Velden derartig um diesen Auftrag gerissen? Das paßte so gar nicht in das Bild, das sie sich mittlerweile von van Velden machen konnten.
Der Bauarbeiter hatte gesagt, daß van Velden ein scharfer Hund gewesen war. Gut, das war vorstellbar, nach allem, was sie inzwischen von ihm wußten. Auch, daß er abends seinen Kontrollgang machte. Aber, daß er immer schon vor den Arbeitern da gewesen war, in aller Herrgottsfrühe, und offensichtlich schon gearbeitet hatte, das war schon eigenartig. Der Maurer wußte auch nicht, was van Velden dort getan haben könnte. »Sehen konnte man davon nix«, hatte er gemeint.
Und dann all diese Hinweise auf van Veldens Interesse für Juden: die Bücher, die Adresse von diesem Salmon Rosenberg. Gut, van Veldens Vater war im Dritten Reich offenbar einer der wenigen hiesigen Widerstandskämpfer gewesen. Das konnte van Veldens Interesse erklären, auch seine Bekanntschaft mit diesem Salmon Rosenberg.
Aber was war mit diesem großen Blatt? Der Davidstern und das,Menetekel’?
Toppe zog das Blatt aus der Mappe auf seinem Schreibtisch und nahm es mit rüber zu Breiteneggers Platz, wo er ein paar andere Zettel fand, auf denen van Velden sich Notizen gemacht hatte.
Er schaltete die Tischlampe ein und beugte sich über die Papiere.
Dieses,Menetekel’, das war nicht van Veldens Handschrift. Er müßte es natürlich prüfen lassen, aber eigentlich war er ganz sicher.
Wer hatte das geschrieben und wann? Ob die Experten das wohl nahe genug eingrenzen konnten?
Er zog Breiteneggers Telefon heran, wählte die Nummer vom Labor und ließ es klingeln, aber keiner nahm ab. Gut, also erst morgen dann.
Er setzte sich wieder an seinen eigenen Schreibtisch und nahm sich den Stapel Bücher vor, den sie im Rollschrank gefunden hatten: Zuoberst lag ein Heft mit dem Titel Sie standen auf, eine Schülerarbeit über die einzelnen Widerstandskämpfer der Stadt.
Auf Seite 64 fand er die Geschichte von van Veldens Vater. Ein ganzseitiges Foto von einem ausgebombten LKW war dem Artikel vorangestellt; die Bildunterschrift lautete: In diesem LKW stirbt Antonius van Velden heim Bombenangriff auf Kleve am 7. Oktober 1944.
Toppe schreckte auf.
Astrid kam schwungvoll herein. Sie trug einen mächtigen Stapel Fotokopien auf den Händen vor sich her. »Halloo!« Ihre Augen glänzten fröhlich. Das Telefon klingelte. Toppe nahm den Hörer ab und winkte Astrid, sich neben ihm hinzusetzen.
»Toppe?«
Es war Gabi, die sich mit mühsam beherrschter Stimme erkundigte, ob er denn vergessen habe, daß sie heute abend bei ihrer Chefin zum Essen eingeladen seien.
Er hatte es vergessen.
Astrid war zur Kaffeemaschine gegangen, fuchtelte mit dem Filter herum und signalisierte eine stumme Frage.
Toppe nickte und versuchte gleichzeitig, seine Frau zu beruhigen.
»Wann
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