Belsazars Ende
Sie? Und da habe ich die Beherrschung verloren. Es war sehr peinlich für die anderen Menschen und für mich. Roderik van Velden hat die Situation gerettet, so erstaunlich das sein mag. Vielleicht hat er geglaubt, ich hätte über ihn gelacht. Ich weiß es eigentlich nicht.«
»Und er hat sie eingeladen.«
»Sie wissen auch davon, ja, natürlich.«
Toppe fühlte sich unbehaglich bei diesem Satz.
»Er lud mich ein, ja. Und ich sagte mir schließlich: warum nicht? Ich ging zu ihm, und er war sehr – fürsorglich. Und sehr wißbegierig. Er wollte alles erfahren über die Flucht, über die Katakomben, vor allem über seinen Vater. Und ich dachte wieder: warum nicht? Und so klärte ich ihn über seinen Vater auf.«
»Sie klärten ihn auf?«
»Das sagt man doch: aufklären? Antonius van Velden hat damals von meiner Familie und von allen anderen jüdischen Familien viel Geld für seine Hilfe bekommen, sehr viel Geld.
Er trug ein hohes Risiko, nicht wahr? Aber das Geld war ihm nicht genug. Er hat uns beraubt. Meine Eltern, auch die anderen Menschen, die mit uns waren, konnten nur wenige kleine Dinge mitnehmen auf die Flucht. Es war lange vorbereitet. Es waren Kostbarkeiten. Anfangskapital für eine neue Existenz in einem anderen Land.«
»Was meinen Sie mit Kostbarkeiten?«
Zum ersten Mal lehnte sich Rosenberg zurück. Er machte eine kleine, unbestimmte Handbewegung. »Ich denke, ich kann das nicht schätzen. Ich erinnere mich natürlich an einige Dinge, die ich als Kind um mich hatte, die mein Vater in den Koffer packte, die meine Eltern später manchmal erwähnten, aber der Wert..«
»Was waren das für Dinge?«
»Ich erinnere mich an eine kleine Landschaft von Watteau, die in der Bibliothek gehangen hatte.«
»Ein Watteau?« Toppe konnte es gar nicht glauben.
»Aber der ist heute..«
»… sehr viel Geld wert«, lächelte Rosenberg. »Das war er damals schon. Wir waren keine armen Leute. Der Watteau war ein Erbstück meines Großvaters, der sich sehr für Malerei interessierte. Wir hatten andere schöne Dinge: Meißener Porzellan, Silber. Meine Mutter hatte kostbaren Schmuck.«
Er stockte.
»Ja?« forderte Toppe ihn auf.
»Sie trug ihn in einem Beutel an ihrem Busen. Van Velden hat sie gezwungen, ihn herauszugeben.«
»Hat er sie..?«
»Physische Gewalt, meinen Sie? Nein, das war nicht notwendig.« Er sah Toppe direkt an. »Er ließ uns zwei Nächte und zwei Tage in den Katakomben, vielleicht länger. Dann kam er und nahm einfach. Was konnten wir tun? Es gab keine Wahl.«
Toppe fiel es schwer, sich auf die Fakten, auf seine Fragen zu konzentrieren. »Haben Sie niemals versucht, diesen Familienbesitz zurückzubekommen?«
Rosenberg schüttelte befremdet den Kopf.
»Aber er gehört Ihnen doch!«
»Ja?« fragte Rosenberg. »Gehört er mir? So wie das Haus auf der Großen Straße? Gehört mir das auch?«
Toppe stand abrupt auf, ging zum Fenster und sah hinaus. »Sie meinen, Geschichte kann man nicht zurückdrehen?«
»Das«, sagte Rosenberg, »das ist eine Frage, über die es lohnt nachzudenken. Wie wäre Ihre Antwort?«
Toppe drehte sich zu ihm um und hob die Schultern.
»Und diese ganze Sache haben Sie van Velden erzählt?« fragte er schließlich.
»Ja. So nach und nach. Als ich merkte, daß er tatsächlich nichts wußte.«
»Was ist mit den Sachen passiert, nachdem Sie im Ausland waren?«
»Wer kann das sagen? Roderik van Velden hat die Dinge niemals gesehen. Sein Vater starb beim Luftangriff auf Kleve.«
»Ja, ich weiß«, antwortete Toppe und rieb sich die Stirn. »Soll ich uns einen Kaffee kochen?«
»Sehr gern, danke.«
Hatte Frau van Velden, Roderiks Mutter, Bescheid gewußt und die Sachen nach dem Krieg verkauft? Und gleichzeitig hatte sie ihren Mann zum Widerstandskämpfer hochstilisiert? Unwahrscheinlich! Wäre er, Toppe, an van Veldens Stelle gewesen, er hätte die Sachen in den Katakomben – das Wort paßte ihm gelassen, bis Gras über alles gewachsen war. War das auch Roderik van Veldens Gedankengang gewesen?
Während der Kaffee durchlief und Ackermann Tassen zurechtstellte, holte Toppe seinen zweiten Zettel: Menetekel.
»Haben Sie das geschrieben?«
»Ich? Nein, gewiß nicht.«
»Auch diesen Zettel haben wir in van Veldens Atelier gefunden.«
»Ja?« Salmon Rosenberg lachte. »Das paßt sehr gut, nicht wahr?«
»Wie oft haben Sie Roderik van Velden getroffen?«
»Nur dieses eine Mal 1988. Nicht wegen der alten Geschichte. Ich glaube, ich mochte ihn nicht sehr. Als
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