Ben - Alles auf Anfang (German Edition)

noch etwas einfällt.
    „Manuel!“, rufe ich ihn zurück. Er bleibt stehen und dreht den Kopf.
    „Danke“, sage ich errötend. „Für Alles!“
    Aber er hebt bloß die Hand in einer wegwerfenden Geste und meint: „Keine Ursache.“
    Damit verschwindet er aus meinem Blickfeld, und gefühlte fünf Sekunden später ruft er aus dem Flur: „Bis heute Abend! Dann schau ich nochmal nach dir. Ob du auch brav bist!“
    Weg ist er.
    Mein Herz schlägt viel zu schnell, wie ich so da sitze und hinter ihm her starre, obwohl er längst verschwunden ist. Noch immer habe ich die Bilder der letzten Nacht im Kopf und weiß nicht, wie ich das einschätzen soll. Wie ich mein eigenes Verhalten einschätzen soll!
    Wieso bin ich Manuel derartig aggressiv auf die Pelle gerückt? Ich meine, ich weiß schließlich, dass er nicht freiwillig Bottom geht, und ich hab das für mich doch schon ebenso kategorisch ausgeschlossen. Zumindest beim ersten Mal. Und da beißt sich die Katze in den Schwanz...
    Also, in den
richtigen
Schwanz, nicht in … na, ist ja auch egal jetzt. Viel wichtiger scheint mir jetzt die Frage, was ich mir davon versprochen habe, gesetzt den Fall ich hab` überhaupt nachgedacht.
    Okay, ich war high, Manuel ist ein heißer Typ und so, ist mir alles klar, aber wieso ausgerechnet er? Sowas hab` ich selbst im Vollsuff noch nie vorher gemacht! Ich hab` immer meine Grenzen – und die anderer Leute! - respektiert … naja, meistens jedenfalls.
    Das heute Nacht muss ja echt rübergekommen sein, als wäre ich total notgeil!? Dabei stimmt das doch gar nicht. Es gab schon Zeiten, da hatte ich wesentlich mehr Druck auf den Leitungen als jetzt.
    Der Abend im
„Total Recall“
fällt mir wieder ein, die Nummer mit dem Kleinen im Darkroom und wie ich Manuels Namen gestöhnt habe beim Kommen.
    Kann doch jetzt nicht sein, dass da von meiner Seite aus mehr ist, als der übliche „Haben-wollen-Reflex“, oder?
    Ich meine aus „Haben-wollen“ wird schon nix – da werde ich doch nicht so doof sein und ein „Haben-und-behalten-wollen“ draus machen?
    Denn dann wäre ich ja wohl völlig bescheuert ….
     
     
     
    Die nächsten zwei Tage verlaufen nach einem sehr ähnlichen Muster. Manuel kommt morgens, mittags und abends vorbei und vergewissert sich, dass ich was Anständiges in den Magen bekomme. Anschließend bleibt er immer noch für ein paar Minuten da und wir reden.
    Oder besser – er redet, und ich gebe an den passenden Stellen meinen Senf in Form von „Ja“, „Nein“ oder irgendwelchen universell nutzbaren Grunzlauten dazu, aus denen man herauslesen kann, was man will und gerade passt.
    Angesichts meiner neu erwachten Unsicherheit in Bezug auf Manuel und vor allem meiner eigenen zwiespältigen Gefühle für ihn, bin ich jedes Mal wieder total gehemmt und hin und her gerissen zwischen der Freude darüber, ihn bei mir zu haben und dem dringenden Wunsch, er möge mich um Himmels willen allein lassen, bevor ich womöglich wieder irgendwas Saublödes mache. Kenne ich so gar nicht von mir ...
    Manuel kriegt von all dem nichts mit, oder zumindest lässt er sich nichts anmerken. Er ist wie immer – Manuel halt. Freundlich, gelegentlich ein bisschen ironisch, und einfach nur wahnsinnig sexy, ohne sich dafür groß anstrengen zu müssen. Das hat Mutter Natur ihm wohl beneidenswerterweise in die Wiege gelegt.
    Am Sonntag fällt mir LanceAlot wieder ein. Heute ist der ausgemachte Tag – eine Woche ist vergangen seit wir uns das erste Mal unterhalten haben.
    Nun ist unser zweites und bisher letztes Zusammentreffen im Netz ja nicht wirklich gut gelaufen, doch ich stelle fest, dass mein Ärger inzwischen vollständig verraucht ist. Also, soll ich mich heute im Chat einloggen, in der Hoffnung, dass er da ist, oder lieber nicht? Aber selbst wenn er da sein sollte – ich kann mir gut vorstellen, dass er nicht mehr den geringsten Bock hat, sich mit mir zu unterhalten, so wie ich ihn angemacht habe.
    Trotzdem - irgendwie habe ich das mehr als dringende Bedürfnis mit jemandem zu reden. Mir brennt eine Menge auf der Seele, und ich erinnere mich, dass es ein gutes Gefühl war, mit LanceAlot zu sprechen, beziehungsweise zu chatten.
    Gut, er hat mir da letztes Mal ein fieses Ding verpasst, als er wegen meinem Vater so nachgebohrt hat, aber jetzt, aus einiger Distanz betrachtet, verstehe ich eigentlich gar nicht mehr, wieso ich so sauer geworden bin. So schlimm war das nun auch wieder nicht. Muss wohl wieder die Tucke in mir gewesen sein