Ben Driskill - 02 - Gomorrha
dem West Side Highway nach Norden, den Hudson entlang, durch die hübschen Kleinstädte wie Dobbs Ferry, Nyack und Tarrytown. Jetzt fühlte er sich schon besser.
Seine Gedanken durchwanderten andere Korridore, liefen in diese oder jene Zimmer und andere Städte, erinnerten sich an Hayes Tarlow, der – ganz gleich, wie man es auch ansah – ein bemerkenswerter Bursche gewesen war.
Hayes Tarlow war seine eigene Kreation, so gut wie jeder Roman, vielleicht sogar besser. Es war, als hätte er sich selbst aus Rauch und Schatten geformt, ein Gebilde aus den Händen eines Zauberers. Er war ein Genie der Selbstdarstellung, wodurch er ein angenehmer Gesellschafter war. Man glaubte, die Zeit mit dem echten Tarlow zu verbringen, und stellte erst später fest, daß man reingelegt worden war. Seine Version der Vergangenheit unterschied sich von Jahr zu Jahr. Man konnte ihn nicht überprüfen, weil alles, was er je getan hatte, sich unter der Hand, hinter jemandes Rücken, im geheimen ereignet hatte. Keine Geschichte, die er erzählte, paßte zu irgend etwas, doch sie klangen alle wahr.
Er hatte in seinem Leben viele seltsame Aufgaben gehabt, die meisten im Dienst seines Landes – auf die eine oder andere Art. »Nicht gerade die Sachen, die sie je zugeben würden, Ben«, hatte er eines Abends in Tommy Makems Bar in der Siebenundfünfzigsten Ost gemeint. »Dementieren ist immer das Paßwort, wenn sie sich an den letzten der Tarlows wenden. Ich habe in einer Zwielichtzone gelebt, das kann ich dir versichern. Das Land, das Dementieren heißt, wo man immer auf sich allein gestellt ist, direkt vor dem bodenlosen Abgrund. Mach dir um mich keine Sorgen, Ben. Genauso mag ich es. Wenn ich Mist baue, ist das mein Problem, und die Jungs können zum Gedenken an Hayes Tarlow einen heben.«
Dieses Gespräch in der Bar hatte vor drei Jahren stattgefunden. Wie üblich war Hayes aus heiterem Himmel in die Kanzlei hereingeschneit und hatte Driskill zu Makem mitgeschleppt. Er wollte unbedingt mit Driskill ihre Verbindung zum frisch gewählten Präsidenten feiern.
Sie hatten sich in eine dunkle Nische zurückgezogen und bei mehreren Bieren Kriegserlebnisse aus dem Wahlkampf ausgetauscht. Hayes Tarlow hatte Feuerwehr gespielt und auf der Gegenseite Schmutz aufgewühlt, als plötzlich Bonner öffentlich beschuldigt wurde, früher – in grauer Vorzeit – seine erste Frau geschlagen zu haben. Damals war Bonner ein junger Kongreßabgeordneter aus Vermont gewesen und noch lange nicht Gouverneur, und er hatte die Vorwürfe entkräftet. Als er dreißig Jahre später verbissen um den Weg ins Weiße Haus kämpfte, mußte er wieder dagegen kämpfen. Hayes Tarlow hatte eine Anklage wegen Kindesbelästigung gegen den Stabschef des amtierenden Präsidenten ausgegraben und damit das Lügenmärchen vom prügelnden Ehemann vom Tisch geräumt. Wie sich herausstellte, hatte niemand tatsächlich jemanden belästigt, aber als die Time, die Post, Hard Copy, A Current Affair und On Deadline mit dem armen Schwein fertig waren, war dieses bereits auf dem Weg zurück nach Kalifornien und Bonner gewählt. Damals hatte die Opposition gelernt, daß es keine gute Idee war, sich mit Hayes Tarlows Auftraggeber anzulegen, sondern daß er mit harten Bandagen spielte – ein Spiel, wie Hayes Tarlow es liebte.
»Machen wir uns doch nichts vor, Ben, manchmal ist es alles andere als schön«, hatte er gesagt. »Nehmen Sie unseren Freund Charlie Bonner: Der netteste Bursche der Welt, aber kaum ist er gewählt und sein Arsch sitzt auf dem Präsidentenstuhl, verfügt er über magische Kräfte. Er kann Menschen … verschwinden lassen. Ich möchte, daß Sie über ein paar Dinge Bescheid wissen, falls ich mal verschwinden sollte. Sollte ich je nach Westen gehen, jenseits des Horizonts – sagen wir in Suche nach Amelia Earhart oder Howard Hughes –, stellen Sie sich vor, daß ich auf einer Mission für meine Herren war und den Löffel bei dem Versuch, meinen Job zu tun, weggelegt habe.« Er lächelte strahlend. »Wir wollen doch nicht, daß der letzte Tarlow vergessen und unbeweint dahinscheidet, oder?«
Und jetzt war er endgültig verschwunden.
»Sie sind Privatdetektiv«, hatte Driskill nachdenklich gemeint. »Der Privatdetektiv des Präsidenten. Im öffentlichen Dienst. Eine eigenartige Stellung. Orden nicht wahrscheinlich.«
»Sie haben es auf den Punkt gebracht, mein Lieber. Genau. Ein kleiner Job hier, ein kleiner Job da, nach einem Unfall mit Fahrerflucht die Straße
Weitere Kostenlose Bücher