Ben Driskill - 02 - Gomorrha
müssen Sie der einzige Mensch in Washington sein, der das nicht tut. Der Präsident steckt in Schwierigkeiten – Mr. Hazlitt holt sehr schnell auf …«
»Sehen Sie, Mr. Shaw, es hat mich noch nie besonders gestört, allein zu stehen, wenn ich im Recht war. Es tut mir leid, aber ich kann Ihre Auffassung, daß der Präsident in Schwierigkeiten steckt, nicht teilen. Der Präsident scheint alles unter Kontrolle zu haben. Er genießt den Wahlkampf, mit Freude und Begeisterung stellt er sich dieser Herausforderung. Er ist ausgesprochen froh, bei einem so faszinierenden Rennen mitzumachen, das ihm Gelegenheit gibt, ein paar Dinge auszusprechen, die er vielleicht bei einer mühelosen Nominierung nicht sagen würde. Er ist in der Lage, seine Positionen in den Augen der Wähler deutlich zu machen – um sich für die Kampagne gegen den Kandidaten der Republikaner zu stärken, ganz gleich, ob nun Price Quarles oder sonst ein Ehrenmann nominiert wird.« Larkspur hatte schon Hunderte – wenn nicht Tausende – solcher Interviews gegeben. Seine Beherrschung der dazu notwendigen Geometrie war beeindruckend. Immer ruhig, immer die Perimeter der Diskussion im Blick, immer sicher, wie weit er gehen konnte, ohne jemanden zu beleidigen, immer die nächste Frage so vorbereitend, daß er wußte, er hatte die perfekte Antwort parat, wie ein Billard-As, das stets einen Stoß in Reserve hat. Jetzt mit Shaw ging er vor wie ein Mann, der mit Thunfisch aus der Dose einen Hummersalat machen wollte. Er hatte verdammt wenig, mit dem er arbeiten konnte. Und er wußte das. Shaw wußte es auch. Aber trotzdem gab es für beide kein Halten.
»Das ist alles gut und schön, Mr. Larkspur, aber wenn ich sage, daß der Präsident in Schwierigkeiten steckt, wissen Sie haargenau, worüber ich spreche. Seit Monaten wird diese Stadt von Gerüchten über eine kommende Katastrophe überschwemmt. Gerüchte, nach denen bei der Präsidentschaft ein Krebsgeschwür wuchere, Gerüchte, daß das tödlich enden würde …«
»Aber, aber, Mr. Shaw, ich kann es nicht glauben, daß Sie mich heute abend hergebeten haben, um … Gerüchte zu kommentieren. Gerüchte sind nur Gerüchte, nichts anderes, und daher Unsinn und nicht wert, daß wir damit unsere Zeit verschwenden.«
»Vielleicht Unsinn für Sie, nicht aber für die amerikanische Öffentlichkeit. Die Existenz von Gerüchten ist eine Tatsache.« Shaw blickte in eine Mappe mit Zeitungsausschnitten, dann schaute er auf und sagte langsam und deutlich: »Ballard Niles’ Kolumne im World Financial Outlook zum Beispiel, die morgen erscheint, ist heute abend in ganz Washington bekannt. Niles behauptet, Summerhays sei in irgendeine geheime Machenschaft mit Tony Sarrabian verwickelt. Niles behauptet ferner, daß dies eine unglaubliche Ebene der Korruption darstelle, auf die Mr. Summerhays zum Ende seines Lebens gesunken sei. Was halten Sie davon?«
»Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter, Mr. Shaw. Sie haben genau meinen Standpunkt demonstriert: Sehen Sie sich als erstes die Quelle an. Soweit ich weiß, hat Ballard Niles nicht mal eine flüchtige Beziehung zur Wahrheit. Er zieht es vor, sich etwas aus den Fingern zu saugen, es auszuschmücken und falsch zu interpretieren. Zum zweiten. Es hätte genausogut ein Foto von mir sein können, in tiefem Gespräch mit Tony Sarrabian. Ach ja, ich habe Sie doch mit demselben Tony Sarrabian neulich im Jockey Club in ein Gespräch vertieft gesehen – warten Sie mal, war das nicht vor zwei Wochen?«
Shaw lächelte plötzlich. »Vor drei.«
»Soll ich daraus folgern, daß Sie plötzlich ein gesellschaftlicher Paria sind? Und Geschichten so formen, wie Sarrabian es will? Ich glaube nicht. Ballard Niles ist ein Gerüchtekoch übelster Sorte, wie ich ihm oft ins Gesicht gesagt habe, zum letztenmal vor zehn Tagen bei einem Abendessen im Citronelle in Georgetown. Die Gerüchte, von denen Sie sprechen, habe ich während meiner Erfahrung im öffentlichen Leben noch nie kennengelernt … über dieses Thema sollten wir diskutieren. Dieses Phänomen – der Einsatz von Gerüchten als politische Keule. Sie sehen, es gibt Gerüchte über Gerüchte. Da ist keinerlei Substanz vorhanden, nicht einmal eine imaginäre Substanz. Ja, man braucht schon sehr viel mehr als derartige Taktiken, um Charles Bonner eine schlaflose Nacht zu bereiten … oder das amerikanische Volk zu täuschen. Gerüchte über Gerüchte.« Larkspur schnaubte verächtlich. »Was für eine verrückte
Weitere Kostenlose Bücher