Benedict-Clan "Der Mitternachtsmann"
Benedict.
Hinter ihnen ertönte eine Polizeisirene. Der schwarzweiße Streifenwagen kam neben ihnen mit rotierendem Warnlicht zum Stehen. Gleich darauf sprangen zwei Uniformierte heraus. Irgendwer hatte offenbar die Polizei alarmiert.
Die polizeiliche Befragung war schnell abgeschlossen. Es gab nur noch ein paar Zeugen, weil die meisten Leute, die das Geschehen beobachtet hatten, in der Befürchtung, in etwas verwickelt zu werden, weggerannt waren. Der Polizist notierte sich die Einzelheiten, aber er machte ihnen nicht viel Hoffnung, dass es gelingen werde, den Täter zu finden. Auch wenn April nichts anderes erwartet hatte, war es doch deprimierend.
Der Streifenbeamte bot an, Luke ins Krankenhaus zu fahren, aber er lehnte mit der Begründung, dass er gleich morgen seinen Hausarzt aufsuchen werde, dankend ab. Er und April unterschrieben ihre Aussage, dann gingen sie zu Lukes Jeep und fuhren ins Hotel.
Als sie in die Einfahrt einbogen, sagte April unvermittelt: „Ich habe einen Erste-Hilfe-Kasten dabei. Wenn du mit raufkommst, verarzte ich dir deinen Rücken.“
Sie sah im Halbdunkel ein grimmiges Lächeln über sein Gesicht huschen. „Danke, aber diese Mühe musst du dir nicht machen.“
„Es ist keine Mühe, wirklich.“
„Und wie komme ich plötzlich zu dieser Ehre?“
Sie wich seinem bohrenden Blick aus. „Ich fühle mich so … ich weiß nicht. Es ist das Mindeste, was ich tun kann.“
Er schwieg einen Moment, als versuche er, seine Möglichkeiten oder ihre möglichen Motive einzuschätzen. Dann nickte er. „Na gut. Warum nicht?“
Es war schon ziemlich lange her, seit April zum letzten Mal nachts mit einem Mann ein Hotel betreten hatte, genau gesagt seit sie zum letzten Mal mit Martin in einem Hotel übernachtet hatte. Sie hatte das Gefühl aufzufallen und war wachsam, als sie mit Luke die Lobby durchquerte. Das war die Krux daran, wenn man relativ bekannt war. Selbst wenn einen niemand beobachtete, hatte man immer das unangenehme Gefühl, dass irgendwer einen beobachten könnte. Und heute Abend war es noch schlimmer, weil sie Luke am Vorabend praktisch hinausgeworfen hatte.
Der Angestellte an der Rezeption im hinteren Teil der Lobby lächelte freundlich und wünschte ihnen noch einen angenehmen Abend, ließ jedoch keine Neugier erkennen. Einen Moment später glitten sie in dem mit Walnussholz getäfelten Aufzug nach oben. Dort gingen sie den mit dickem Teppichboden belegten Flur hinunter, und dann schloss April die Tür zu ihrer Suite auf. Gleich darauf fiel die Tür hinter ihnen mit einem endgültigen Klicken ins Schloss.
Als April das Geräusch hörte, stieg Panik in ihr auf. Was um Himmels willen dachte sie sich dabei? Sie achtete seit Monaten, ja seit Jahren, strengstens darauf, nicht mit Luke allein zu sein, und jetzt lud sie ihn mitten in der Nacht sogar in ihr Hotelzimmer ein. Der Anschlag vorhin musste sie völlig verstört haben.
Das Beste war wohl, so zu tun, als wäre alles ganz normal. Und wenn er auch nur ein bisschen Fingerspitzengefühl besaß, machte er es ebenso.
Sie drehte ihm den Rücken zu und legte ihre kleine Umhängetasche auf der Ablage in dem winzigen Vorraum ab, dann machte sie im Wohnzimmer Licht. Anschließend ging sie durch sämtliche Räume und knipste jede verfügbare Lampe an, bis die ganze Suite in helles Licht getaucht war. Als sie aus dem Ankleidezimmer kam, stand Luke im Türrahmen zwischen Schlaf- und Wohnzimmer.
„Fürchtest du dich vor der Dunkelheit?“ fragte er. „Oder vor mir?“
„Weder noch“, gab sie spitz zurück, obwohl ihr die Röte in die Wangen schoss. „Ich möchte nur gern sehen, was ich tue.“
Sein Blick verweilte noch mehrere Sekunden auf ihrem Gesicht, dann knöpfte er sich das Hemd auf und zog es ohne Hast aus. „Richtig. Du hast doch bestimmt nichts dagegen, wenn ich vorher kurz dusche.“
So viel zu ihrer Hoffnung, dass sie unter diesen Umständen auf Lukes Hilfe zählen könnte. Er hatte offenbar vor, es ihnen so schwer wie möglich zu machen. Oder bildete sie sich die versteckte Anspielung in seiner Stimme nur ein? Doch wenn er vorhatte, sie zu ärgern, musste er sich auf eine Enttäuschung gefasst machen.
„Fühl dich ganz wie zu Hause“, sagte sie und deutete mit dem Kopf in Richtung Bad. „An der Tür hängt ein Bademantel.“
Er brummte etwas, und Sekunden später schloss sich die Badezimmertür hinter ihm.
April ließ ihren angehaltenen Atem heraus und sank auf den Rand des Doppelbetts. Als die Dusche
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