Benedict-Clan "Der Mitternachtsmann"
ernsthaft kehrtzumachen und sie wieder an Land zu bringen. Entweder das oder ihr die Wahrheit zu sagen.
Er tat keins von beidem. Stattdessen gab er noch ein bisschen mehr Gas, so dass das Boot auf den Kanal zuschoss, der in einen Seitenarm der Sümpfe führte, wo sie niemand aufspüren konnte – es sei denn, er wollte, dass sie aufgespürt wurden.
Das, was er tat, war richtig, davon war Luke überzeugt. April würde es nicht gefallen, aber damit würde er sich zu gegebener Zeit auseinander setzen. Bis dahin lagen noch zwei friedliche Stunden vor ihm. Er würde das Beste daraus machen.
Ein paar Minuten später verließ er den Seitenarm und lenkte das Pontonboot in ein Sumpfloch, das den unromantischen Namen
Sand Dump
trug. Er hatte die Stelle, an der sich ein seltsam geformter Sandkegel erhob, zum Teil deshalb ausgesucht, weil sie in einiger Entfernung vom Hauptkanal lag, doch hauptsächlich wegen des erfrischenden Schattens, den die hohen Zypressen, von der sie umstanden war, spendeten. Das Wasser hier war nicht mehr dunkelgrün, sondern fast braun von dem Harz, das von den Bäumen tropfte, es war jedoch immer noch klar in der windstillen Hitze des Tages. Als sie sich näherten, glitten Schildkröten von einem quer im Wasser liegenden Baumstamm herunter. Der übliche Fischgeruch, der über solchen Orten lag, wehte zu ihnen herüber.
Luke suchte sich eine kleine Zypresse aus, hielt Ausschau nach Schlangen, die sich eventuell zum Schlafen darauf niedergelassen haben könnten, und fuhr darauf zu. Er machte den Motor aus und ließ das Boot weitertreiben, während er nach einem Tau griff, das er um den Baumstamm schlang und verknotete. Als einer der Aluminiumpontons gegen den Stamm stieß, krachte es dumpf, dann war alles still.
Nach Lukes Geschmack tatsächlich viel zu still. Er ging zum Steuerpult zurück und legte eine George-Winston-Kassette ein. Während die weichen Klänge die Luft erfüllten, begann er vorn im Bug des Bootes, wo Wind hinkam, den Tisch aufzustellen. April hinter ihm stand auf und reckte sich träge, dann klappte sie den Deckel der Bank, auf der sie gesessen hatte, auf, um den Picknickkorb herauszuholen, den Luke darunter verstaut hatte. Er versuchte sie aufzuhalten, aber es war zu spät.
„Du lieber Himmel“, rief sie aus, als sie den Korb heraushob. „Das reicht ja für eine ganze Armee.“
„Nur damit man die Wahl hat“, sagte er eilig. „Im Übrigen kann ich den Rest auch für Notfälle auf dem Boot lassen.“
„Ah ja. Falls du nicht mehr nach Hause findest oder was?“ fragte sie spöttisch.
Jetzt hatte sie ihn am Wickel, weil er sich nämlich zum letzten Mal mit elf in den Sümpfen verirrt hatte. Aber er gab trotzdem nicht auf. „Könnte ja sein, dass der Motor irgendwann schlappmacht.“
„Oder das Benzin ausgeht?“ fragte sie zuckersüß.
Diese Nummer hatte er in den guten alten Zeiten abgezogen. Es war herrlich gewesen, langsam unter einem gelben Sommermond zurück nach Chemin-a-Haut zu paddeln, mit gelegentlichen Unterbrechungen für Küsse, die ihm neue Kraft gaben. Es gehörte zu seinen liebsten Erinnerungen, trotz der Moskitos, die sie beide fast bei lebendigem Leibe aufgefressen hätten.
Er warf ihr ein schiefes Grinsen zu und antwortete: „Das auch.“
Sie bohrte nicht weiter, vielleicht weil sie diese Dose mit Fischködern nicht öffnen wollte. Aber das argwöhnische Glitzern in ihren Augen erlosch nicht.
Das Mittagessen war nicht umwerfend, aber es machte satt. Es schien, als ob sie einen zerbrechlichen Waffenstillstand geschlossen hätten. Obwohl sie beide nicht wirklich gelöst waren, unterhielten sie sich doch über dies und das. Den Hauptgesprächsstoff bildete die Explosion. Luke bohrte möglichst unauffällig immer wieder nach, um herauszufinden, ob sie irgendetwas gehört oder gesehen hatte. Doch soweit er bis jetzt erkennen konnte, gab es keinerlei Anhaltspunkte.
Nachdem sie ihre Sandwiches gegessen hatten, griff er nach einer Mango und schälte sie für sie beide. Dabei schaute er April ein paar Mal an und ließ seinen Blick für einen Moment auf der fast durchsichtigen Haut unter ihren Augen verweilen. Etwas später bemerkte er: „Du schläfst nicht viel, stimmts?“
„Wie kommst du denn darauf?“
„Schatten“, sagte er und beschrieb mit dem Messer einen kleinen Halbkreis unter seinem rechten Auge.
Sie hob herausfordernd eine Augenbraue. „Ich kann nachts oft am besten arbeiten.“
Er hätte ihr gern die Antwort gegeben, die sie
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