Benedikt XVI
treffen müssen. Es
gibt auch ein mehr oder weniger ausgeprägtes Bewusstsein für eine globale
Verantwortung; dafür, dass die Ethik sich nicht mehr bloß auf die eigene Gruppe
oder die eigene Nation beziehen darf, sondern die Erde und alle Menschen im
Blick haben muss.
Insofern
ist ein gewisses Potential an moralischer Erkenntnis vorhanden. Aber dieses
dann in politischen Willen und in politische Aktionen umzusetzen, wird durch
das Fehlen von Verzichtbereitschaft weitgehend wieder unmöglich gemacht. Das
müsste ja in nationale Haushalte umgesetzt und letztlich von den Einzelnen
ausgetragen werden, wobei es dann wiederum um die unterschiedliche Belastung
der verschiedenen Gruppen geht.
So wird
deutlich, dass der politische Wille letztlich nicht wirksam werden kann, wenn
es nicht in der ganzen Menschheit - vor allen Dingen bei den Hauptträgern der
Entwicklung und des Fortschritts - ein neues, vertieftes moralisches
Bewusstsein, eine Verzichtbereitschaft gibt, die konkret ist und die dem
Einzelnen auch zur Wertvorgabe für sein Leben wird.
Die Frage
ist deshalb: Wie kann der große moralische Wille, den alle bejahen und nach
dem alle rufen, zu einer persönlichen Entscheidung werden? Denn solange das
nicht geschieht, bleibt die Politik ohnmächtig. Wer also kann bewirken, dass
dieses allgemeine Bewusstsein auch ins Persönliche eindringt? Das kann nur
eine Instanz, die die Gewissen anrührt, die dem Einzelnen nahe ist und nicht
nur zu plakativen Veranstaltungen aufruft.
Insofern
ist hier die Kirche herausgefordert. Sie ist nicht nur in der großen
Verantwortung, sie ist, würde ich sagen, oft die einzige Hoffnung. Denn sie ist
den Gewissen vieler Menschen so nahe, dass sie diese zu bestimmten Verzichten
bewegen und Grundhaltungen in die Seelen einprägen kann.
Der Philosoph Peter Sloterdijk
sagt zum globalen Geo-Management: "Die Menschen sind Zukunftsatheisten.
Sie glauben nicht an das, was sie wissen, selbst wenn man ihnen stringent
beweist, was kommen muss."
Theoretisch glauben sie es
vielleicht schon. Aber sie sagen sich, es wird mich schon nicht treffen. Mein Leben
werde ich jedenfalls nicht ändern. Und dann gibt es hier schließlich nicht nur
die individuellen Egoismen, die gegeneinander stehen, sondern auch die
Gruppenegoismen. Man ist einen bestimmten Lebenstypus gewohnt, und wenn dieser
bedroht wird, dann wehrt man sich natürlich. Man sieht auch zu wenig Modelle,
wie Verzicht konkret aussehen könnte.
In dieser
Hinsicht haben die Ordensgemeinschaften eine exemplarische Bedeutung. Sie
können auf ihre Weise vorleben, dass ein Lebensstil des rationalen, moralischen
Verzichtes durchaus praktizierbar ist, ohne dabei die Möglichkeiten unserer
Zeit ganz ausklammern zu müssen.
Wenn es um das gute Beispiel geht,
zeigt sich auch der Staat als wenig vorbildlich. Regierungen häufen heute
Schulden in noch nie dagewesener Höhe an. Ein einziges Land wie Deutschland
gibt im Jahr 2010 nicht weniger als 43,9 Milliarden Euro nur für Zinszahlungen
an Banken aus; also dafür, dass wir bei allem Reichtum zusätzlich über unsere
Verhältnisse gelebt haben. Allein diese Zinszahlungen würden genügen, ein Jahr
lang die Lebensmittel für alle Kinder in Entwicklungsländern bereitzustellen.
Weltweit
sind seit Ausbruch der Finanzkrise die Staatsschulden um 45 Prozent gestiegen -
auf mittlerweile über 50 Billionen Dollar, unfassbare Zahlen, eine noch nie
dagewesene Situation. Allein die Mitgliedsländer der EU nehmen 2010 über 800
Milliarden Euro neue Kredite auf. Die Neuverschuldung im US-Staatshaushalt
liegt bei 1,56 Billionen Dollar, dem höchsten Stand aller Zeiten. Der
Harvard-Professor Kenneth Rogoff sagt deshalb, es gibt keine Normalität mehr,
sondern nur noch eine Illusion von Normalität. Fest steht, dass nachfolgende
Generationen mit gigantischen Schulden belastet werden. Ist das nicht auch ein
irrsinnig großes moralisches Problem?
Natürlich, weil wir auf Kosten der
nachfolgenden Generationen leben. Insofern sieht man, dass wir in der Unwahrheit
leben. Wir leben auf den Schein hin, und die großen Schulden werden dabei als
etwas behandelt, das uns einfach zu eigen ist. Auch hier begreifen in der
Theorie alle, dass es eine Besinnung brauchte, wieder zu erkennen, was wirklich
möglich ist, was man kann, was man darf. Und dennoch dringt es nicht in die Herzen
der Menschen vor.
Über die
einzelnen Finanzpläne hinaus ist eine globale Gewissenserforschung
unerlässlich. Die Kirche hat hier
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