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Benkau Jennifer

Benkau Jennifer

Titel: Benkau Jennifer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phoenixfluch
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das Ebenholz der Obertasten Risse aufwies, und der Resonanzboden sich im Laufe der Zeit verzogen hatte, was den Klang erheblich beeinträchtigte, war das Instrument immer noch ein kleines Vermögen wert. Verkaufen würde er es nie, denn vor langer Zeit hatte er auf diesen Tasten das Klavierspiel gelernt. Es war das einzige Relikt seiner Vergangenheit, das er in einem sicheren Versteck über den Krieg gerettet hatte.
    In jedem Ton, den es freigab, klangen schöne Erinnerungen. Immer, wenn die Herrschaften, für die seine Mutter den Haushalt geführt hatte, nicht anwesend waren, hatte sie ihm erlaubt, daran zu üben, sofern er sich vorher die Hände mit Seife wusch. Manchmal war er zum Spielen zu beschäftigt gewesen, weil er lieber mit den Fingern die eingeschnitzten Weinlaubmotive in dem auf Hochglanz polierten Kirschholz nachfahren wollte. Seine Mutter hatte sich hin und wieder einige Minuten Zeit stibitzt, um ihm ein paar Tastenkombinationen zu zeigen, die die schönsten Melodien ergaben.
    „Ausprobieren, horchen und wiederholen, Samuel“, hatte sie gesagt. „Vergiss die Menschen, die sagen, man soll alles in Noten auf Papier festhalten. Musik kann man nicht festhalten, man muss sie freilassen.“
    Mit einem Blick auf die Funkuhr an der Wand ließ er sich auf dem Schemel nieder, legte die Finger auf die Tasten, hielt inne und atmete tief ein. Er glaubte, noch das mit Lavendelöl parfümierte Paraffin zu riechen, mit dem das Holz früher behandelt worden war. Eine Zeit lang war es sein Wunsch gewesen, Elisabeths Stimme auf diesem Klavier zu begleiten. Doch wiedergefunden hatte er es erst viele Jahre nach ihrem Tod. Auch seine Mutter hatte man zu dieser Zeit schon lange begraben.
    Er hatte Helena gegenüber behauptet, er würde seine Familie nicht mehr vermissen. Das war eine Lüge.
    Während er ein paar Tasten anschlug, sinnierte er über Helenas Reaktion ob seiner plötzlichen Flucht. Sie war sauer, enttäuscht. Auf hundsgemeine Art erleichterte ihn das. Sie hatte sich gewünscht, er wäre geblieben. Da war sie doch, die Gemeinsamkeit, nach der er gesucht hatte. Auch er wäre gerne geblieben, war sauer und enttäuscht. Er hoffte, nein, betete förmlich, dass sie ihm verzieh. Dafür würde er ihr etwas Wahrheit schenken müssen. Nur ein klein wenig.
    Sein Körper fühlte sich bereits wund an vor Einsamkeit. An das Alleinsein hatte er sich nie gewöhnen können und daran würde sich auch in weiteren hundert Jahren nichts ändern.
    Was hatte er da nur verspürt, als er sie im Arm hielt? Es erinnerte ihn an ein Gefühl, welches er seit Langem gestorben glaubte. Das Echo eines hoffnungswarmen Momentes der Vergangenheit.
    Er hatte einer Zukunft ins Auge geblickt, von der er nicht mehr dachte, dass sie für ihn existierte. Aber sie war da gewesen. Oder aber es war nur eine Spiegelung seines Wunschdenkens.
    Er verdrängte die Schwermut, rief sich stattdessen die schönen Bilder des Abends vor Augen. Helena, lachend, mit ihrem Drachen- Ei in der Hand. Amüsiert stellte er fest, dass die vom Klavier hervorgekrächzte Melodie erheblich an Penny Lane erinnerte. War er da nicht sogar mal gewesen? Ach ja, aber das war lange her. 1984, auf seiner Reise nach Wales, hatte er diesen berühmten Stadtteil Liverpools besichtigt.
    Er schlug die falsche Taste an und zog die Finger zurück, als hätte er sich verbrannt.
    Oh Gott. Wie hatte er es vergessen können? Er hatte den gesuchten Moment der Hoffnung in seiner Biografie wiedergefunden. In Wales, bei den Drachen.
    Ostküste von Wales, Frühjahr 1984 .
    Das winzige Dorf Diffgyllian auszumachen, hatte sich bereits als schwierig herausgestellt, doch das Gehöft von Paul Thomzen zu finden, war noch mal eine ganz andere Herausforderung. Die Zeiger von Samuels Armbanduhr bewegten sich bedrohlich auf die Abendstunden zu, als er endlich sein geliehenes Motorrad vor dem historisch anmutenden Natursteinhaus aufbockte. Weiden, auf denen Ponys und Schafe grasten, umgaben das Gebäude. Aus dem dahinterliegenden Garten drangen Kindergelächter sowie das verzerrte Spiel einer Mundharmonika. Samuel klopfte an die grobschlächtige Holztür. Ein Poltern im Inneren gab Antwort, prompt wurde die Tür aufgerissen.
    „Vater!“, brüllte ein kleiner Junge von fünf oder sechs Jahren. „Da steht ein Mann, den ich nicht kenne. Komm schnell, vielleicht ist’s ein Räuber!“
    Paul Thomzen, ein grimmig dreischauender, untersetzter Mann Mitte vierzig, starrte um die Ecke.
    „Was ’n“, bellte er. Der

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