Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
müssen Pläne geschmiedet werden, mich hier herauszuholen! Ich werde ständig bewacht; aus diesem Haus gibt es schwer ein Entrinnen.«
»Wie wollt Ihr dann …«
»Ich denke, es tut sich vielleicht ein Ausweg auf.«
De Chauliac schritt durch die Vorhalle. Sein langes, zinnoberrotes Gewand bauschte sich elegant hinter ihm. Der korpulente, rotgesichtige Alchimist watschelte neben ihm her. Der Franzose lächelte, als er näher kam, und Alejandro wußte, daß er ihm Fragen stellen würde, wenn er ihn erreicht hatte.
»Im obersten Stockwerk gibt es ein vergittertes Fenster nach Westen. Dort werde ich festgehalten. Ich werfe Euch nachher einen Brief hinunter. Kommt morgen nach Einbruch der Dunkelheit. Laßt mich nicht im Stich, Karle, oder …«
Doch er hatte keine Gelegenheit mehr, Karle irgendwelche Höllenstrafen anzudrohen, denn de Chauliac mit seinem dicklichen Begleiter hatte sie erreicht.
»Ein so trautes Zwiegespräch! Kommt schon, gebt zu, daß Ihr miteinander bekannt seid.«
Karle nickte respektvoll und sagte dann: »Nein, Herr, wir haben uns eben erst kennengelernt – aber da der Herr ein Arzt ist und mein lieber Onkel Etienne darauf hinwies, daß es davon heutzutage so wenige gibt – nun ja, da habe ich es für klug gehalten, ihn nach gewissen Beschwerden zu fragen, unter denen ich leide und die möglicherweise mit einer Frau zu tun haben.«
»Ah!« sagte de Chauliac mit einer Handbewegung. »Solche Beschwerden sind eine Plage. Sprecht nicht weiter!«
»Das brauche ich zum Glück auch nicht, denn der gute Doktor hat mir einen Rat gegeben, der mir ungemein einleuchtet.«
»Er ist ein ausgezeichneter Arzt. Ihr tut gut daran, seinem Rat zu folgen. Darf ich auch etwas Persönliches hinzufügen?«
»Oh, ich möchte bitten. Ich bin begierig, in dieser Angelegenheit jeden Spezialisten zu konsultieren.«
De Chauliac lächelte. »Dann empfehle ich Euch, junger Mann, die Frauen, mit denen Ihr Euch zusammentut, sorgfältig auszuwählen.«
Karle und Alejandro warfen einander einen kurzen Blick zu. Dann sagte Karle: »In diesem Falle, Herr, hat das Mädchen mich ausgesucht.« Und mit einer höflichen Verbeugung entfernte er sich.
Es dauerte einen langen Augenblick, bis Alejandro sich genügend gefaßt hatte, um zu merken, daß Flamel mit ihm sprach. Er erbat sich eine Wiederholung der Frage. Und dann mußte er sich rasch eine passende Antwort auf die Frage ausdenken, wie er in den Besitz des Journals gelangt war.
»Ein Apotheker hatte es erworben.«
»Wo, wenn ich fragen darf?«
»Ich erinnere mich nicht genau. Zu der Zeit war ich auf Reisen, und ich kannte die Namen der Dörfer, durch die ich streifte, nicht immer. Soweit ich weiß, war es im Norden. Nein, wartet – vielleicht war es auch im Süden.« Er zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Mein Gedächtnis für solche Details läßt leider zu wünschen übrig.«
Flamel sah de Chauliac an und dann wieder Alejandro. Sein Gesicht glühte vor unverhohlener Erregung.
»Ich habe sehr lange Zeit nach diesem Band gesucht. Unter den Mitgliedern meines Berufsstandes gab es Gerüchte von seiner Existenz, aber niemand hatte ihn je gesehen. Ihr habt der Welt einen bemerkenswerten Dienst erwiesen, indem Ihr ihn aufgespürt habt. Sagt mir, hat der Apotheker berichtet, wie er an das Manuskript gelangt ist?«
»Ich habe den Mann nicht gefragt, und er hat keine Erklärung abgegeben. Aber man kann wohl mit einiger Sicherheit annehmen, daß er es einem Juden abkaufte. Vielleicht stammt es aus den Plünderungen in Straßburg. Oder er hat es auch von einem Flüchtling erhalten.«
»Gott sei Dank sind nur wenige entkommen …«
»Einer würde schon genügen«, sagte Alejandro bitter.
Ehe das Gespräch noch unangenehmer werden konnte, griff de Chauliac ein. »Ich sehe, Eure Übersetzung schreitet gut voran.«
»In der Tat – trotzdem ist noch viel zu tun.«
Flamel sagte: »Ich sah an Eurer Schrift, daß Ihr gerade mit den Seiten begonnen habt, auf denen die Anweisungen für die Metallumwandlung stehen. Es wäre eine große Ehre, wenn Ihr mir unverzüglich von Euren Fortschritten berichten würdet. Vielleicht kann ich Euch auch eine Hilfe sein, denn ich kenne den Sinn vieler Symbole, die sich in der Handschrift befinden.«
»Nun, das scheint mir eine wundervolle Idee!« schwärmte de Chauliac.
Und Alejandro wurde klar, daß im Grunde schon alles vereinbart worden war, als sie oben in seiner Kammer waren. Er fragte sich, wie de Chauliac wohl die Gitter an
Weitere Kostenlose Bücher