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Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse

Titel: Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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heißt es ›Auge um Auge‹, und er kann zwar nicht offen fromm sein – aber er nimmt die Worte seiner Propheten sehr ernst.«
    Ein Moment verging schweigend. Dann fuhr Kate fort: »In Avignon hat er versucht, sich als Arzt niederzulassen und auf die Ankunft seiner Familie zu warten. Aber er wurde mit anderen Ärzten zusammen gezwungen, sich von de Chauliac unterrichten zu lassen. Sie wurden über ganz Europa verteilt, um die Gesundheit der Königshäuser zu schützen; denn der Papst wollte mit Hilfe königlicher Heiraten seine Ränke schmieden, und das konnte er nicht, wenn alle Bräute und Bräutigame dahinsiechten, bevor er sie in die Hand bekam. So ist Père nach England gelangt – sonst wäre er noch heute in Avignon. Viele Jahre lang hat er gehofft, daß seine Familie es dorthin schaffte, aber er hat Angst vor einer Rückkehr, denn man könnte ihn erkennen und einsperren. Und trotz aller Hoffnungen für seine Angehörigen weiß er, daß sie kaum die Reise aus Spanien oder dann die Pest überlebt haben können.«
    Karle seufzte in tiefem Erstaunen. »Wie grausam die Hand des Schicksals sein kann! Er hielt Paris für sicher, und dabei erwartete ihn hier die größte Gefahr.« Einen Augenblick dachte er nach und sagte dann bedrückt: »Es muß schrecklich für dich gewesen sein, all diese Jahre.«
    Kate runzelte die Stirn. »Schrecklich? Wie meinst du das?«
    »Du reist jetzt seit zehn Jahren umher als seine Tochter.«
    »Und warum«, sagte sie empört, »sollte das schrecklich sein?«
    »Schlimm genug, daß er ein Jude ist, aber obendrein ein Grabräuber, ein Mörder … du bist ihm bemerkenswert ergeben, wenn man bedenkt …«
    Ohne nachzudenken, holte sie aus, um ihn zu schlagen. Er packte ihre Hand, bevor sie sein Gesicht erreichte, und hielt sie fest. Er sah den Zorn und die aufsteigenden Tränen in ihren Augen und begriff, daß seine Überlegungen sie tief verletzten. Sie liebte den Mann, wie sie einen echten Vater geliebt hätte.
    Nach ein paar angespannten, reglosen Momenten flüsterte er:
    »Es tut mir leid. Ich wollte nicht respektlos sein.« Er küßte ihre geballte, zitternde Faust zärtlich und bittend. »Es war voreilig und töricht, so zu sprechen.«
    Kate riß ihre Hand los. Ihre Wangen waren gerötet, und als sie endlich das Wort ergriff, klang ihre Stimme düster. » Père ist der beste Mensch, den ich je gekannt habe. Er ist von weit edlerem Geist als derjenige, der mich gezeugt hat. Ich habe in seiner Obhut nie etwas entbehrt. Er hat mir die Segnungen des Wissens, der Sprache, des Schreibens und des Rechnens angedeihen lassen – ich kenne die Medizin, die Jagd, alle Fertigkeiten, die man braucht, um zu überleben! Das können wenige Männer von sich behaupten, von Frauen ganz zu schweigen. Und niemals hat er versucht, mir seine Überzeugungen aufzuzwingen. Aber ich weiß, er sehnt sich danach, daß ich sie teile – ich sehe es manchmal an seinem Ausdruck; ihn umgibt eine Einsamkeit, die kein Mensch erdulden müssen sollte.«
    Sehr leise sagte Karle: »Er hat viel verloren.«
    »Er hat alles verloren und zuletzt noch den Rest, woran ihm lag – um mich zu retten.«
    Als sie diese Worte aussprach, begriff Karle, daß er diesen Vater tatsächlich würde akzeptieren müssen, um sich die Tochter zu erhalten. »Ich schwöre, daß ich alles Nötige veranlassen werde, damit ihr nie wieder getrennt werdet.«
    »Wenn wir zusammenbleiben wollen, wirst du deinen Frieden mit ihm schließen müssen.«
    »Dann wird das auch geschehen.«

    Doch der Mann, dem diese Worte galten, hatte keinen Seelenfrieden, denn noch immer rumorten in ihm die Ereignisse des Abends. Der aufgeschlossene junge Chaucer, der vielleicht, ohne es zu wissen, der Schlüssel zu seiner Flucht werden könnte; das unerwartete Wiedersehen mit Karle; die wunderbare Nachricht von Kates Wohlergehen und Karles verwirrende Behauptung, Kate habe ihn irgendwie »ausgesucht«. Natürlich gab es nur eine Art, auf die ein Mädchen einen Mann wählte – der bloße Gedanke daran loderte in ihm und verzehrte seine neuerliche Zuversicht.
    All das war zu verwirrend, überstieg das Verständnis des einfältigen Mannes, für den er sich mittlerweile hielt. Doch verstehen mußte er es, denn er wollte de Chauliacs Kontrolle – koste es, was es wolle – entrinnen. In dem spanischen Kloster, so erinnerte er sich aus der Ferne, war es wenigstens sicher gewesen, daß seine Häscher ihn tot sehen wollten. De Chauliac erlegte ihm die Folter schlimmster

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