Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
seinem Fenster erklärt hatte. Oder ob sie dem Alchimisten überhaupt aufgefallen waren …
Das Fest endete, und die Gäste verabschiedeten sich nach und nach. Karle war Marcel schon aus der Tür gefolgt und hatte Alejandro mit der beklemmenden Angst zurückgelassen, er werde vielleicht nie wiederkehren. Der dicke und zwielichtige Alchimist dagegen hatte zum großen Bedauern des Juden seine Rückkehr fest und wortreich versprochen.
Jetzt brach der Page Geoffrey Chaucer auf. Alejandro nahm ihn kurz beiseite und flüsterte: »Vergeßt nicht, mit Eurem Herrn zu sprechen. Sagt ihm, daß es mich sehr danach verlangt, ihn von seinen Nöten zu befreien.«
Chaucer zwinkerte verschwörerisch sein Einverständnis und sagte: »Ihr werdet bald von mir hören. Darauf könnt Ihr Euch verlassen.«
Dann ging der junge Mann zu de Chauliac und bat um einen kurzen Brief, der sein langes Ausbleiben erklärte. Er bekam ihn bald darauf und machte sich froh auf den Weg, ein junger Mensch, der alle Köstlichkeiten des Lebens noch vor sich hatte. Wehmütig sah Alejandro ihm nach, als er im Hof verschwand. Seine Abenteuerlust und sein Wissensdurst erinnerten den gefangenen Juden an seine eigene, freiere Jugend, bevor er auf seinem Weg gestrauchelt war.
Doch die Liebe des Jungen zum Englischen war etwas besorgniserregend. Allerdings konnte sich Alejandro jetzt nicht damit befassen. Und letztlich, das wußte er, würde ein so junger Mensch sich nicht aufhalten lassen, ganz gleich, was die Welt von seiner Muttersprache hielt.
Auf dem Strohlager in ihrer kleinen Dachkammer zitterte Kate in Guillaume Karles Armen, und obwohl die Nacht warm war, fröstelte sie vor Entsetzen.
»Aber warum können wir nicht jetzt gehen?«
»Er hat ausdrücklich gesagt, morgen.«
»De Chauliac!« stöhnte sie kläglich. »Wer hätte das gedacht?«
Er schnaufte vorwurfsvoll. »Wenn ich deine Geschichte kennen würde, könnte ich vielleicht die Bedeutung ihrer Begegnung begreifen; aber du hast mir die Geheimnisse deiner Vergangenheit ja nicht verraten.«
Sie schloß fest die Augen und verstummte.
»Kate, bitte, du mußt mir diese Hintergründe enthüllen. Es ist gefährlich, wenn ich nicht Bescheid weiß.«
Widerstrebend öffnete sie die Augen und suchte seinen Blick.
»Er hat dir also nichts gesagt?«
»Nein – aber er hat mich gefragt, ob du mir etwas gesagt hättest.«
Sanft nahm er ihr Gesicht in beide Hände und schaute ihr tief in die Augen. »Ich werde dich nicht verraten« gelobte er. »Mein Verlangen nach dir verbietet es; und selbst ohne das bin ich ein Mann von Ehre. Niemals dulde ich es, daß du zu Schaden kommst, ganz gleich, welcher Vorteil auch für mich dabei herausspränge.«
Sie wandte das Gesicht ab, aber er drehte es wieder zu sich her.
» Bitte « , beschwor er sie. »Siehst du denn nicht, daß ich dich liebe? Ich flehe dich an, vertraue mir! Wenn wir jemals zusammenleben wollen, muß ich wissen, wer du bist.«
Sie zog seine Hände von ihren Wangen und legte sie sanft in ihren Schoß. Dann richtete sie sich auf und sah ihm direkt in die Augen. »Du mußt mir versprechen, niemandem zu sagen, was ich dir nun mitteilen werde.«
»Aber das habe ich doch gerade versprochen. Zweifle nie an meiner Aufrichtigkeit!«
»Karle, dieses Wissen kann gefährlich werden.«
»Das Risiko nehme ich auf mich.«
Nochmals atmete sie tief durch. »Wenn es zu einer Belastung werden sollte, mußt du dich daran erinnern, daß ich dich gewarnt habe. Und daß du akzeptiert hast …«
»Jawohl! Akzeptiert! Und jetzt sprich weiter, bei der Liebe zur Heiligen Jungfrau!«
»Nun denn«, seufzte sie müde. »Was weißt du über die englische Königsfamilie?«
»Nicht mehr, als jeder einfache Mann wissen muß.«
»Ich fürchte, bald wirst du mehr wissen, als dir lieb sein wird.«
Seine Verwirrung schien echt. »Aber was hat das mit dir zu tun?«
»Alles. Weißt du, Karle, ich bin … ich …«
Sie mußte ihre Tränen unterdrücken und verstummte, unfähig, weiterzusprechen.
» Ja? « drängte er. »Sag es mir!«
Plötzlich platzte sie damit heraus, es gab keinen Aufschub mehr.
»Ich bin nicht pères Kind.«
»Heiliger Strohsack!« rief er. »Ebenso könntest du behaupten, der Himmel sei blau! Jeder Narr erkennt das doch auf den ersten Blick. Wessen Kind bist du denn?«
»Ich … ich bin … eine illegitime Tochter von König Edward.«
Unwillkürlich sog er die Luft ein. » Mon Dieu! « Er bekreuzigte sich.
»Meine Mutter war eine der Hofdamen
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