Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
Ungewißheit auf. Er haßte es, sein unfreiwilliger intellektueller Komplize, Spielzeug seines Geistes zu sein. Verdammt sei dieser Schurke; unter besseren Umständen würde sein Intellekt ihn zu einem allgemein willkommenen Gefährten machen.
Im Licht einer einzelnen Kerze starrte er auf Abrahams Manuskript und fragte sich, ob er je wieder dasselbe dafür empfinden könnte. Dieser Flamel schien es zu begehren, wie ein Mann eine Frau begehrt – als könne sein Besitz ihn für irgendein großes, enttäuschendes Versagen entschädigen. Nachdem der schmierige Alchimist die Seiten berührt und ihre Geheimnisse gesehen hatte, gab es für Alejandro das Gefühl nicht mehr, das Buch gehöre wirklich ihm.
Narr! schalt er sich selbst. Es gehört dem Volk, zu dessen Unterweisung es geschrieben wurde. Jetzt war es seine Pflicht, dafür zu sorgen, daß dieses Volk diese Unterweisung erhielt.
Plötzlich hörte er ein leises Klopfen. De Chauliac persönlich trat ein. Die formelle Gesellschaftskleidung war verschwunden; jetzt trug der elegante Franzose ein leichtes Gewand aus feinster indigoblauer Seide. Ihre Blicke begegneten sich, und für einen Moment spürte Alejandro de Chauliacs neugieriges Forschen; es schien, als versuche der Leibhaftige selbst, in seine Seele zu schauen. Er wandte den Blick ab, was de Chauliac zwang, etwas zu sagen.
»Es war ein schöner Abend, nicht wahr?«
»Er war interessant, das gebe ich zu. Aber warum, in Gottes Namen, habt Ihr Lord Lionel eingeladen?«
»Was haben meine Gründe mit Euch zu tun?«
»Er hätte kommen können.«
De Chauliac lächelte. »Ich nehme an, es war die potentielle Gefahr, die mich dazu veranlaßt hat – daß ich sehen wollte, wie Ihr reagieren würdet. Es machte mir Vergnügen, wie Ihr Euch aus Furcht, erkannt zu werden, gewunden habt. Aber alles ist gut ausgegangen, oder? Ihr habt die Gesellschaft dieses jungen Pagen anscheinend sehr genossen. Lionel war noch ein Kind, während Eurer Zeit bei Hofe, und hat sich nicht darum gekümmert, was die Älteren trieben.« Er grunzte zynisch. »Und ein Kind ist er geblieben! Jedenfalls läßt er sich so kindisch gehen, daß es ihm gelungen ist, sich die Gicht zuzuziehen.«
Alejandro setzte sich gerader auf. Das ist meine Chance, das nächste Samenkorn in die Erde zu senken. »Ich würde ihn gern untersuchen, wenn Ihr meint, er würde mich nicht erkennen.«
De Chauliac zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Wozu in aller Welt?«
»Weil er, wie Ihr bereits sagtet, zu jung ist, um an der Gicht zu leiden. Vielleicht ist es nicht die Gicht, was ihn quält. Es könnte etwas anderes sein.«
»Ihr wollt an meiner Diagnose zweifeln?«
Sei vorsichtig, was du sagst. Erinnere dich an seinen Stolz und benutze ihn in diesem Duell. »Dieser Krieg hat viele neue Formen des Elends mit sich gebracht, Leiden, die noch nicht einzuordnen sind, und ich habe viele davon gesehen. Mitglieder des Königshauses bleiben davon nicht verschont, nur weil sie königlich sind. Einst habe ich von Euch gelernt, weil Ihr über das breitere Wissen verfügtet. Wäre es nicht möglich, daß Ihr jetzt von mir lernen könntet?«
De Chauliac wand sich unbehaglich. »Ich vermute, es wäre nicht ganz von der Hand zu weisen …«
»Dieser junge Chaucer sagt, sein Herr leide unter Schmerzen in den Extremitäten, vor allem in einem Fuß – aber Ihr wolltet ihm kein Laudanum geben. Ich denke, dies ist die richtige Behandlung, weil Laudanum ihn verstopfen könnte, und Ihr erkennt klugerweise, daß der Körper sich von allen Fäulnisstoffen und Abfällen befreien muß, um zu gesunden. Doch wenn sein Fluch nicht die Gicht ist, leidet er vielleicht unnötig unter Schmerzen, die ich heilen könnte. Er stünde für immer in Eurer Schuld.«
Der Franzose bedachte das, antwortete aber nicht.
Endlich, nach langem quälendem Schweigen, sagte er: »Ihr habt recht, Jude. Vielleicht wird unsere gemeinsame Weisheit meinem Prinzen besser dienen als meine allein.«
Alejandro ergänzte rasch: »Wir könnten uns danach in einen anderen Raum zurückziehen, um unsere Feststellungen zu erörtern. Wenn wir einen anderen Grund für seine Beschwerden finden, werden wir sagen, Ihr allein hättet ihn entdeckt.«
De Chauliac wirkte bestürzt und verletzt. »Solch falsche Lorbeeren habe ich nicht nötig.«
»Nein, natürlich nicht. Ich meinte nur, daß ich es mir nicht leisten kann, Aufmerksamkeit zu erregen.«
»Ja, gewiß«, stimmte Chauliac nachdenklich zu. Dann wurde sein Blick dunkel
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