Benson, Ann - Alejandro Canches 02 - Die brennende Gasse
ging zu seinem Pferd. Mit einem eleganten Schwung saß er auf, ergriff die Zügel und galoppierte davon.
Der junge Ritter sah ihm bestürzt nach, denn er wußte, Charles’ militärische Berater würden ihn züchtigen, weil er diesen eigenmächtigen Ausritt gestattet hatte. Und die Edelleute, die sich mit Charles verbündet hatten, würden ihm verübeln, daß er es ihrem Anführer ermöglichte, Karles vermutetes Versteck ohne Schutz aufzusuchen. Er eilte aus der Hütte, ohne die Tür hinter sich zu schließen, und schwang sich auf sein eigenes Roß. In langsamem Trott folgte er seinem Herrn und ließ dem König von Navarra seinen Vorsprung, damit der Staub von dessen raschem Ritt sich vor ihm legte. Sollten die anderen doch ihn zuerst verunglimpfen, wenn sie wollten – er war einfach nicht Manns genug, um den gebieterischen Charles von seinen frechen Husarenstückchen abzuhalten. Sie würden seine Festung für den Geschmack des Ritters ohnehin viel zu bald erreichen, selbst wenn sie im Schneckentempo dahinschlichen.
Erst als eine ganze Zeit lang Stille geherrscht hatte, wagte Alejandro die Planke über seinem dunklen Erdkeller anzuheben, und als er endlich wieder ans Tageslicht kam, sah er schnell, daß es zu spät war, um noch irgend etwas für den armen Verstümmelten zu tun. Was jetzt von der bedauernswerten Seele übrig war, glich eher einem Baumstamm als einem Menschen. Der Arm, den Charles von Navarra ihm abgeschlagen hatte, lag staubbedeckt unter dem Tisch und begann, die Fliegen anzuziehen. Der armlose Soldat lag sterbend da, aber irgendwie atmete er noch immer.
Wir klammern uns, wenn alle Hoffnung verloren ist, an das Trugbild von ihr, sinnierte Alejandro traurig. Welche Schrecken hat er vor Augen? fragte er sich, während er bei dem vom Schicksal Geschlagenen stand, der vielleicht einmal große Tapferkeit bewiesen hatte – einem Mann, dem es gelungen war, das zu überleben, was der Franzose Karle vor wenigen Stunden als äußerst blutige Schlacht beschrieb.
Möge es Gott gefallen, daß ich solch einen Schrecken niemals kennenlerne! Wieder einmal stellte er seinen hippokratischen Eid hintan und zog das Messer, das er immer in seinem Stiefel trug – das gute Messer von seinem Vater aus Spanien damals. »Ich empfehle Euch Eurem Herrn der Gnade«, flüsterte er dem Sterbenden zu, dann stieß er ihm rasch das Messer ins Herz. Er hauchte sein Leben aus, noch bevor Alejandro das Messer reinigen und wieder in den Stiefel stecken konnte.
»Und nun auf nach Paris«, sagte er laut – der Klang seiner Stimme überraschte ihn. Wenn Gott gut und Guillaume Karle ein Mann war, der sein Wort hielt, dann würde er Kate dort finden, an dem Ort, den sie so oft aufgesucht hatten, als sie ein Kind und noch begierig gewesen war, alles von ihm zu lernen, das er ihr beibringen konnte. Er zerrte die Satteltasche aus dem Erdloch und legte sie vor sich auf den Boden. Sie enthielt sein Vermögen – das Gold seiner Familie, das Gold des Papstes, das Gold von König Edward, auf einem Jahrzehnt der Flucht kaum angerührt. Genug Gold, um die Straßen von Paris mit zarten, feingewebten Damengewändern zu bedecken – wenn solche denn zu finden waren. Die wenige Nahrung, die er hatte, steckte er in die Tasche und erhob sich dann zum Aufbruch. Als er einen letzten Blick in die Runde warf, sah er das schwere Manuskript, das noch neben dem Herd lag.
Er würde nicht wieder ein Buch zurücklassen, wie er es getan hatte, als er aus England floh. Geheimnisse, wie dieses Buch sie enthielt, durften nicht in falsche Hände geraten.
Karle war überrascht, aber nicht unglücklich, als Kate ihm als Ort des Wiedersehens Paris nannte.
»Aber warum dort?« fragte er. »Ich nehme an, daß Ihr und Euer père ebenso auf der Flucht seid wie ich. Mir erscheint Paris als Treffpunkt gefährlich.«
»Das stimmt«, räumte sie ein. »Aber in diesen Zeiten konnten wir nie sicher sein, daß irgendein anderer Ort noch existieren würde. Wie viele verbrannte Dörfer und verwüstete Burgen habt Ihr auf dem Lande gesehen? Zahllose. Könnte dasselbe mit Paris passieren? Niemals. Paris wird immer bestehen. Und ich werde immer fähig sein, mich dort zurechtzufinden. Alle Wege führen nach Paris, sagt Père. «
»Alle Wege führen nach Rom, zumindest sagt das die Legende. «
»Ach, das war vor Hunderten von Jahren. Als Rom noch seinen Ruhm besaß. Heutzutage ist Paris der Mittelpunkt der Welt. Zumindest behaupten das diejenigen, die auf diese Stadt
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